Didaktik-Logodidaktik-on.net Unabhängige Zeitschrift für Bildungsforschung  
  Startseite     über uns, Impressum     Artikel     Didaktik-intern     Links     Suche  


Sprachlernen & Internationalität
(5 Artikel)

Gender-Aspekte
(1 Artikel)

Lernen lernen
(4 Artikel)

Rezensionen
(4 Artikel)

Bildung & Medien
(4 Artikel)

Didaktik-aktuell
(4 Artikel)

Im Gespräch
(3 Artikel)

Teacher Education international
(2 Artikel)

Jugend
(1 Artikel)

Kulturleben & Kunsterziehung
(1 Artikel)

Hinweise & Veranstaltungen
(8 Artikel)

Behinderung & Integration
(3 Artikel)

Lehramt aktuell
(3 Artikel)

Studien- und Lehrplanreform
(3 Artikel)

Gewaltpraevention & Friedenserziehung
(2 Artikel)

Bildung
(3 Artikel)



Artikel aus 2004

Der Leidensweg der AHS:
Tod oder Auferstehung eines Schultyps?
Was nun?

MAX ANGERMANN


Gedanken für eine Grundsatzdiskussion



I. GEGENWÄRTIGE BEOBACHTUNGEN ZU GESELLSCHAFT UND SCHULE


Der deutsche Volksschauspieler Gustav Knuth sagt: »Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich eine miserable Gegenwart in eine gute Zukunft verwandelt.« - Auffällig ist offenbar das Miserable der Gegenwart. Was ist zur Zeit auffällig? In der Schule heißt das »verhaltensoriginell!« Auffällig ist das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Werten und Gegensätzen, von sehr weit gestreuten Sichtweisen und gewaltigen Widersprüchen. Einige Beispiele:

Arbeitsplatzmangel oder nicht? Die Zahl der Arbeitslosen steigt, junge Menschen finden schwer Arbeit, ältere Arbeitnehmer werden vorzeitig in Pension geschickt, Betriebe suchen Arbeitskräfte, willige ArbeitnehmerInnen erleben, dass ihre Bewerbungsschreiben nicht angenommen werden -Arbeitszeit - Freizeit: Es gibt Berufsgruppen mit Fünf - Tage - Woche, gleichzeitig dringt die Wirtschaft auf längere Öffnungszeiten in den Geschäften und versucht, die Sonn- und Feiertagsruhe auszuhöhlen. Längere Öffnungszeiten bedeuten noch lange nicht mehr Kaufkraft bei den arbeitenden Menschen.
Regulierung gegen Deregulierung. Vor allem die Wirtschaft fordert, alles dem freien Markt zu überlassen, Angebot und Nachfragen allein würden eine vernünftige Preispolitik sicherstellen. Dem Tüchtigen gehört die Welt. Er soll sich nicht durch ein Gesetzeskorsett in seiner Schaffenskraft behindert fühlen. Wer ist aber als tüchtig anzusehen?
Macht und Ohnmacht: Wir spüren, wie Technik und Wirtschaft auf das Leben des einzelnen Einfluss nehmen, mitunter auf sehr unangenehme Weise. Stichwort: der gläserne Mensch. Viele haben den Eindruck, dass durch die Gigantomanie neue Abhängigkeiten, neue Machtblöcke entstehen und so hilflos der Anonymität ausgeliefert sind.
Datenschutz gegen »Seelenstriptease«: Einerseits will man alles voneinander wissen, bis in den letzten Intimbereich, auch er soll auf Chipcards gespeichert sein oder in TV- Talkshows zur Sprache kommen, andererseits verweigern wir mit Hilfe des Datenschutzes Informationen.
Freiheit /Autonomie gegen Sicherheit und Überwachung. Offenbar ist beides gleichzeitig nicht möglich!
Solidarisierung - Entsolidarisierung: Die Weltwirtschaft entsorgt Menschen, ganze Kontinente, - wie Afrika - die wegen ihrer Armut zu wenig konsumieren. Als Folge Arm gegen Reich: Auch in Österreich geht die Schere diesbezüglich auseinander.
Kranke gegen Gesunde: Immer öfter taucht die Frage auf: Was kosten kranke, behinderte Menschen, vielleicht auch: Was dürfen sie uns noch kosten?
Alte gegen Junge: die Pensions- und Harmonisierungsdebatte lässt tief blicken. Wird man mit »10 € - Wurstsemmeln« alles ausgleichen können?
Ausspielen der Bevölkerungsgruppen untereinander: ASVG - ArbeitnehmerInnen gegen Beamte; Schwarz - Blau gegen Rot - Grün
Tradition gegen Reform: Beides ist nötig. Tradition wird vielfach als Altlast empfunden, Reform zeigt sich mitunter als Zerschlagung des Alten. Behutsamen Änderungen wird zu wenig Rechnung getragen.
Eile / Hast, speed kills / Hyperaktivität gegen Muße, Beschaulichkeit, Gelassenheit. Die letztgenannten Begriffe werden der Faulheit gleichgesetzt.
Mann gegen Frau, also zu wenig Partnerschaftlichkeit
Institutionenverdrossenheit / -ablehnung und gleichzeitig verstärkte Aufgabenzuweisung all der Problembereiche, die Einzelpersonen oder Gruppen nicht lösen können oder wollen, an diese abgelehnten Einrichtungen.
Dialog der Religionen / Ökumene gegen Fanatismus und Fundamentalismus

Man merkt: Das »Sowohl - als - auch« fehlt in vielen Lebensbereichen. Es geht sehr oft ums »Entweder - oder«. All das berührt Menschen. Jeder von uns kann sich in einigen der punktuellen Aufzählungen finden. Die geschlossene, fix planbare Lebens- und Berufskarriere ist weiter weg denn je. In sehr vielen Lebensbereichen stimmen Traditionen, Wertvermittlung, neue wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr mit der Gegenwart überein. Völlig neue Fragen tauchen auf. Das erzeugt Unsicherheit, Angst, persönliches Unbehagen, wahrscheinlich auch das Gefühl des Miserablen, wie Gustav Knuth sagt. Auch die einzelnen Institutionen wie Familie, Schule, Kirchen, Parteien sind davon betroffen. Jeder reicht die ungelösten Fragen weiter, selbstverständlich unter verschiedenen Schlagworten - im wahrsten Sinn - wie »Autonomie«, »Flexibilität« etc.
Bildungsinstitutionen aller Art werden sich heute ihrer ureigensten Aufgaben erinnern müssen: Altersgemäße Bildung weiterzugeben.
Auch die AHS muss sich fragen, ob sie ihrem Namen noch gerecht werden kann, ob nicht auch sie klammheimlich zur Aufbewahrungsstätte für Kinder und Jugendliche umfunktioniert wird und durch die ständige Übernahme neuer Aufgaben sich von ihrem ursprünglichem Ziel - Persönlichkeitsbildung über verschiedene grundlegende Wissensbereiche - entfernt. Wird nicht Schule so zur »Cloaca maxima« der Gesellschaft? Und wenn sie all die Problemstellun gen nicht sofort und zufriedenstellend lösen kann, brauchen wir dann überhaupt eine AHS?
Tod oder Auferstehung eines Schultyps?
Gewiss wirkt auch der Name »Allgemeinbildende Höhere Schule«, wie bereits angedeutet, viel unschärfer als früher, weil sich dieser Begriff, der offenbar vor Jahrzehnten noch besser erklärbar war, heute sich einer genauen Festlegung entzieht.

II. MEHR ORDNUNG UND FORM ALS SINNGEBUNG UND INHALT


Vor ziemlich genau dreißig Jahren wurde der »innere Bereich schulischen Lebens« durch das SCHUG gesetzlich geregelt. Die Schule schwebte bis dahin in ihrem Alltag in einem größten teils rechtlosen Zustand. Der Willkür waren sicher Tür und Tor geöffnet. Ist das nicht heute auch so, wesentlich verborgener, formal schlauer abgesichert? Natürlich, die Ordnung innerhalb einer Institution kann nur durch Gesetze, Verordnungen, Erlässe sichergestellt werden. Dabei gilt aber das alte Sprichwort: »Allzuviel ist ungesund«. Es ist erstaunlich, welche Reglementierungswut sich dabei entwickelt hat, wie viel an Rechtfertigungsdruck auf den Lehrern bei der Beurteilung der Schüler lastet, wie viel an (unnötiger) Verwaltungsarbeit anfällt (genaueste Begründung schlechter Noten, ganze Checklisten für Berufungen sind entstanden, Schularbeitsstatistiken, Prüfungsprotokolle, Protokolle bei Frühwarngesprächen etc.). Juristen haben hier ein breites Exerzierfeld entdeckt, Pädagogen beugen sich unterwürfig ihren Sprüchen. Das entsteht aus einem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis, Recht verleiht Sicherheit, viele Menschen glauben auch heute noch, ein Gesetz könne jedes Problem lösen.
Sehen sich aber nicht manchmal auch Zentralstellen in ihrer Reglementierungswut bestärkt, weil wir Lehrer zu wenig unsere Mündigkeit wahrnehmen und zu viel fragen, um ganz auf Nummer Sicher zu gehen? Auf diese Weise werden Freiräume, die noch bestehen, in ein Korsett eingeengt, dass es zum Erbrechen ist, weil einem im wahrsten Sinne des Wortes die Luft ausgeht. Wenn der Lehrer dann all seinen Aufträgen nicht mehr gerecht werden kann, versagt er als Wunderwuzzi und Entertainer. Ist er das aber wirklich? Muss sich nicht auch die Behörde darüber Gedanken machen, dass zum ehestmöglichen Zeitpunkt trotz hoher Abschläge bei ihrer Pension so viele Lehrer der Schule den Rücken kehren?

III: DIE FOLGEN ODER: SIEBEN WEITERE WURZELN


1.  Die Herrn Karl - Mentalität: Wozu brauch i des?

Im Zug des Neoliberalismus, eines verschärften Konkurrenzdenkens und dem stark auftre tenden Zauberwort »Lehrstoffentrümpelung« - dieser »entrümpelt« sich nämlich selbst durch Feiertags- und Stundenplankonstellationen sowie durch das Niveau, das sich eine Klasse gibt - tritt ein starker Trend auf, nur »Nützliches« rasch und gewinnbringend zu vermitteln. Was aber ist zur Zeit als »nützlich« anzusehen? Offenbar nur, was sofort in klingende Münze oder andere materielle Vorteile umzusetzen ist. Alles andere ist Ballast, vertane Zeit, pure Energieverschwendung, vielleicht sogar mühsam. Aber bleibt nicht auch in einer Fun - und Spass - Gesellschaft, das am besten hängen, was innerlich berührt? Es ist durchaus möglich, dass die allgemeine Übersättigung von Jung bis Alt, auch was geistige Nahrung betrifft, schon so weit fortgeschritten ist, dass einem nichts mehr berührt, auch nicht modernste Unterrichtsformen und - behelfe! Das führt zur Ausdünnung des Bildungs niveaus. Deshalb ein kurzer Gedanke zur Bildung:
Im Wort »Bildung« steckt »Bild« . Wir verwenden die Redewendung »sich ein Bild machen«. Die Sprache, höchstes geistiges Gut des Menschen, identitätsstiftend, ist äußerst bildreich. In unseren Gesprächen transportieren wir ständig Metaphern. So anschaulich sie auch sein mögen, sie sind gleichzeitig auch Quelle allen Missverständnisses. Jeder liest und hört aufgrund seiner Biographie, seiner Begabungen, seiner emotionellen Gestimmt heit etwas anderes aus Mitteilungen, Gesetzestexten, Kunstwerken, jeder interpretiert Gespräche anders. Somit erfordern Bildung und Wissen einen sensiblen Umgang mit Plurali tät. Drüberfahren löst keine Probleme, Gewaltanwendung in physischer und psychischer Hinsicht schon gar nicht. Bilder, Kunstwerke, dazu gehören auch literarische Texte, Musik stücke entstehen in einer bestimmten Absicht und Sinngebung. Ein Thema, ein Problem wird veranschaulicht und soll Wirkung auslösen in Form von Reflexion, Diskussion, von Freude, Kritik, Betroffenheit, Anerkennung, Zweifel etc. Somit hat die Bildung nicht nur Sinn, sondern auch eine Zielangabe.
In einer so raschlebigen Zeit kann man das Ziel leicht aus den Augen verlieren, Orientierungslosigkeit droht, irrationale Vorstellungen greifen um sich, fragwürdige, derzeit dominierende Ziele wie Nulldefizit, unbegrenztes Wirtschaftswachstum, Deregulation in möglichst vielen Lebensbereichen, was sich auf Ethik und Moral auswirken muss, werden angestrebt. Orientierungslosigkeit und Armut sind Brutstätten für den Fundamentalismus. Orientierungslosigkeit schlägt sich in kleinsten Alltagssituationen nieder. Aus welchen Lebensmitteln ist diese Speise hergestellt? Ist der Käs nicht zu fett und aus welcher Art von Tierhaltung stammen unsere Fleischprodukte?
Bereits hier wird offenbar, dass viele Menschen mit dem Pluralismus nicht umgehen kön nen. Was sich beim Einkaufen zeigt, finden wir im Wertepluralismus wieder. Werteverfall oder Werteumbruch, das ist die Frage!
Auseinandersetzen muss sich Bildung auch mit der Tatsache zunehmender Orientierungslosigkeit. Unser Blick richtet sich auf Verfügungswissen, das sehr rasch in großen Mengen mit Hilfe moderner Technologien (etwa Suchmaschinen im Internet) parat steht, das wie im naturwissenschaftlichen Bereich möglich, sofort greifbare »objektivierbare« Ergebnisse bringen und viel Geld einspielen kann. Mit dem Orientierungswissen, etwa die bunte Palette der Geisteswissenschaften, zeigen sich in der Regel nicht sofort greifbare von allen anerkannte Erfolge, deswegen erteilen ihm die Politiker unter dem Deckmantel des Sparens eine Absage (Stichwort »Stundenkürzungen«). In einer Welt zunehmender Gewalt ist diese Vorgangsweise einseitig, dumm und gefährlich. Orientierungswissen kann nicht ohne Verfügungwissen bestehen und umgekehrt!
Eine AHS - Reform müsste sich sehr stark um dieses Orientierungswissen bemühen!
Wer unter »Bildung« nur abfragbares lexikalisches Wissen versteht, ist nicht auf der Höhe der Zeit, wird auch nicht sehr genau zwischen »Bildung« und »Ausbildung« unterscheiden. Leider kommt sehr oft nach einer beruflichen Ausbildung das Aus für die Bildung, sofern eine solche überhaupt vorhanden war.
Bildung braucht Zeit, damit sich etwas bildet und Gestalt annimmt. Bildung in den verschiedensten Formen ist der Same, der im Menschen zur Entfaltung kommt. Die Vielfältigkeit sehen wir Lehrer besonders in ehemaligen SchülerInnen, im Gespräch mit ihnen. Erst dann, also Jahre oder sogar Jahrzehnte später zeigt sich, was aus der Bildung geworden ist, die wir vermittelt haben.
Vor einigen Jahren meinte Frau Ministerin Gehrer, die Allgemeinbildung hätte eine Delle abbekommen. Ich füge hinzu: Die AHS im städtischen Bereich mit Sicherheit!

Wozu brauche ich somit, worüber ich in der AHS acht Jahre lang informiert, was abgeprüft und (mühsam) erarbeitet wurde? Um sich in der Jugend mit den Fragestellungen und Themen auseinanderzusetzen, die einem viel auf den Lebensweg mitgeben können, mit denen man sich möglicherweise nicht oder nie mehr wirklich beschäftigt: mit Grundsatzfragen aus Philosophie, Physik, Biologie, Literatur, Musik, Ethik, Religion.... , als Komplementärwissen für den späteren Lebensweg. Kürzlich stellte Jan Ross, ein Kulturphilosoph, fest, dass die »technologische Marktführerschaft Deutschlands gerade dann besonders eindrucksvoll war, als auch die Geistes- und Geschichtswissenschaften in Blüte standen, im späten 19. und frühen 20. Jhdt.« (siehe Mitlöhner Rudolf : Was sind Eliten? in: Die Furche Nr. 5 vom 29. 01. 2004)

2.  Punktuelles, kurzfristiges Lernen auf Prüfungstermine:

Obwohl assoziierendes, fächerverbindendes Lernen und Denken immer wieder gefordert wird, größere Stoffgebiete abgefragt werden sollen, tauchen immer wieder die Fragen auf, wie weit man denn Wissensgebiete »zeitlich zurückfragen« dürfe. Ja, auch das ist geregelt, wird aber letztlich zum Rohrkrepierer für SchülerInnen, weil es durchaus sein kann, dass Stoffgebiete, die zusammengehören, auf diese Weise »zeitlich getrennt werden« und der weitere Zusammenhang darunter leidet.
Das ist kontraproduktiv und fördert eher »Schrebergartendenken« als assoziierende Weite. Es ist richtig, dass junge Leute nicht über Gebühr beansprucht werden sollen, aber die künftige Arbeitswelt fordert mitunter auch Leistungskompression. Wann soll sie trainiert werden, wenn nicht in der Schule?

3.  Kernstoff- und Erweiterungsbereich:

Diese nutzlose Einteilung, zumindest im geisteswissenschaftlichen Bereich, die auch schon im Lehrplan festgeschrieben ist, wirkt für mich wie »Bildung im preußischen Stechschritt«. In Gesprächen fand ich auch hier ein breites Meinungsspektrum angefangen von vorauseilendem Gehorsam über Ignoranz und scharfe Ablehnung, wobei die beiden letztgenannten Punkte deutlich überwogen. Viele KollegInnen fanden diese Einteilung als gute Möglichkeit für die Zentrale, in erster Linie LehrerInnen zu überprüfen, ob sie auch die Bildungsinhalte gewissenhaft transportieren. Wurde überhaupt je daran dacht, wovon Kernstoff- und Erweiterungsbereich wirklich abhängen? Einige Überlegungen:

a) -a) von der Interessenslage der SchülerInnen, auch von ihrem Niveau
b) -b) von der Interessenslage der LehrerInnen, was ihm / ihr wichtig erscheint
c) -c)vom Stundenplan und weiteren davon abhängigen Terminen
d) -d)von der biographischen und weltanschaulichen Sichtweise d. LehrerInnen
e) -e)vom persönlichen Umgang der Lehrenden mit Pluralität
f) -f)Bereits im 19. Jhdt. gab es Überlegungen, die Geisteswissenschaften zu »objektivieren«, in den »Griff« zu bekommen, was aber misslang! Werden auch Gesetze immer einheit lich ausgelegt und exekutiert? Wenn nein, warum nicht?
g) -g)Die jährliche Festlegung von Kernstoff- und Erweiterungsbereich am Jahresanfang ist
auch deswegen problematisch, weil zu diesem Zeitpunkt der Lehrer viel zu wenig genau weiß, was seine SchülerInnen »nur« vergessen haben, was sie wirklich nie gelernt haben
(Was heißt das wieder?), woran sie sich allmählich doch wieder erinnern. Wer wirklich meint, den Wissensstand so zu heben, irrt. Daran werden auch

4.  Rationalisierungs- und Standardprinzipien

nichts ändern. Man kann diese gar nicht auf alle Bereiche der Kultur übertragen, so unterschiedlich sind sie. Der Fast - Food - Eintopf, den offenbar die Wirtschaft in die Schule gebracht hat oder noch verstärkt einbringen will, verbirgt sich hinter den Begriffen »Leistungsstandard« und »Evaluierung«. Auch hier gilt: Das Ziel wird verfehlt, wenn es mit Ungeduld, Verbissenheit, Fanatismus angepeilt wird, und: Der Weg zum Ziel kann bereits viele neue Erkenntnisse bringen. Was heute hoch gejubelter »Leistungsstandard« ist, kann morgen schon »Schnee von gestern« sein.

Zum »Leistungsstandard« darf nicht allein zählen, wie LehrerInnen und auch SchülerIn mit den didaktischen Wunderwaffen wie PC, Internet und Beamer, die funkgesteuerte Dreifaltigkeit, umgehen. Es ist von unbedingter Notwendigkeit, sie bedienen zu können. Wir dürfen aber darüber hinaus dabei nicht vergessen, dass Lernen kein mechanischer Vorgang ist, wie die Bedienung technischer Geräte. Das allein trägt nur zum Faktenwissen bei, ist aber noch nicht selber d a s vielgeschmähte Faktenwissen (Punkt 5).

Und was sollen wir / soll die Schulbehörde / vielleicht gar der Schulgemeinschaftsausschuss evaluieren? Einfache Antwort: Was wir nicht brauchen und nicht wollen,

a b e r (siehe Punkt 1). Jeder Bildungsbereich hat seine eigenen nicht vergleichbaren Gesetzmäßigkeiten, auch deshalb, weil das Leben selbst nur schwer in eindeutig festlegbare Gesetze gegossen werden kann. So erinnert der französische Soziologe Pierre Bourdieu daran, dass beispielsweise die Gesetze der Wirtschaft im Bereich der Medizin nicht anwendbar sind. Es heißt: »Ein Manager, dem es nicht gelingt, einen Betrieb zu sanieren, wird wohl oder übel entlassen. Ein Arzt, der trotz aller Bemühungen schwer kranke Patienten nicht heilen kann, wird trotzdem seine Tätigkeit fortsetzen, ja fortsetzen müssen.« (siehe Eder Gabriele: Die Menschen stärken und die Sachen klären in: ÖPU - Nachrichten, Heft 4, 32. Jhg. Mai 2003, S 13)

5.  Reduzierung bzw. Ablehnung des Faktenwissens.

Die Ursachen wie Schnelllebigkeit, Reizüberflutung u.a. sind weitgehend bekannt. Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann, auch Herausgeber der wieder entdeckten Werke des Urphilosophen Friedrich Heer, formuliert für die ÖPU - Nachrichten so: » Nur in dem angeeigneten und verarbeiteten Wissen realisiert sich der Bildungsprozess. Wer nur weiß, wo und wie er `nachschauen' muss, um etwas zu wissen, weiß in Wirklichkeit nichts. Die Kritik am sogenannten ´Faktenwissen´ läuft deshalb ins Leere - Sinn macht sie nur als Kritik an einer vernunftlosen additiven Aneignung von Daten, die in keinen Zusammenhang mehr gebracht werden können.« (in: ÖPU - Nachrichten, Oktober 2003, Seite 11).

6.  Der Umgang mit Sprache als Sprechblasenschleuderei oder richtige »Schlag«wörter

oder verbale Kraftakte, deren gibt es viele. Sie alle aufzuzählen, würde viel Zeit und Papier kosten. Sie passen recht gut zum »intellektuellen Eintopf«, zur »Fast food - Kost«. Sie sind in einer Notsituation entstanden, vor dem Hintergrund, wo niemand weiß, wie es mit dem Schultyp der AHS weitergeht. Tod oder Auferstehung? Abwahl oder grundlegende Reform einschließlich einer Neubewertung vom Rollenbild des Lehrers, vom Betriebsklima am Arbeitsplatz Schule. Zauberwörter haben bislang nur in Märchen Probleme und Rätsel gelöst. Da gibt es das Zauberwort, Schlagwort, wie immer man es nennen mag, »Schlüsselkompetenzen«. Sie werden ja ohnehin schon berücksichtigt, ohne sie großartig herausstreichen zu müssen. Wer will nicht teamfähige, junge Leute mit dem Herz am rechten Fleck? Unser Unterricht versucht es ja heute schon in den einzelnen Gegenständen zu leisten. Neben »Kompetenzen«, »Evaluierung«, »Leistungsstandard« gibt es das Zauberwort »Modul«. Eine wunderbare Maßeinheit zur Serienerzeugung von »Fast food«, die vielleicht noch das Denken erspart, weil alle Bauteile bereits vorhanden sind. Wenn man diese Bauteile, sprich Gegenstände noch koppelt, ergeben sich Synergieeffekte, vielleicht zur weiteren Stundenkürzung empfohlen, um die AHS kaputt zu sparen. Wir haben noch dazu erfunden »Projektmanagement«, eine ganze Studienrichtung, wie ich lese und höre. Vielleicht schaffen wir´s bei entsprechendem Schulprofil in einem Jahr. Führt das nicht alles aus Not heraus bereits zu

7.  unglaublicher Heuchelei?

Wieder soll der bekannte Philosoph Paul Konrad Liesmann zu Wort kommen: »Es gibt kaum einen Bereich, in dem so viel gelogen wird wie in der Bildungspolitik. ....Bildungsdebatten sind gekennzeichnet von groß angelegten internationalen Selbstbetrugsmanövern,
zu denen das mehr oder weniger virtuose Jonglieren mit Statistiken, Zahlen, Vergleichen und Studien gehört. Während die einen noch immer von der Schule als Idylle des solidarischen Miteinander träumen, können die anderen gar nicht genug von Wettbewerb, Konkur renz, Rankings, Evaluationen und effizienten Kurzlehrbildungsgängen bekommen.« (Liessmann Paul Konrad: Stätten der Bildung verkommen zu Anstalten der Lebensnot in: ÖPU - Nachrichten, Oktober 2003, Seite 11).

Daher die Gewissensfrage: Was wird bei uns im AHS - Schulbereich vorgeheuchelt in Worten und in Taten? Können / dürfen wir die Karten so auf den Tisch legen wie es notwendig wäre? Wenn ja, mit welchen Folgen?

IV. RESULTATE, VORSCHLÄGE, FESTSTELLUNGEN, FRAGEN :


Den Schultyp und seine Abschlussqualifikation - die Matura - wieder ernstnehmen. Wer wird eigentlich geprüft? Welche beruflichen Möglichkeiten bietet die AHS- Matura? Weniger heucheln.
Die Typenprofile schärfen.
Humankapital in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz, Schule neu entdecken. Wie gehen wir alle mit Kranken, Behinderten, mit Leid um, mit Erfolg und Scheitern, mit Macht? Wie gehen wir mit allen Ausgrenzungen in unserem Leben um? Eine Frage, die noch akuter werden wird als sie schon ist. Daraus ergibt sich, auszuwählen, ob wir wirklich alle Aufgaben annehmen dürfen, die an die Schule herangetragen werden.

Bleibende Eindrücke sammeln, einprägsame Bilder schaffen: daher Beziehungs- und Kooperationsräume zu Behindertenverbänden, zu Altersheimen, zu Sozialinstitutionen aufbauen, ohne dadurch bereits eine vollständige Ausbildung für bestimmte Sozialberufe zu geben, das ginge zu weit.
Der Gegenstand »Ethik« bietet neben dem konfessionellen Religionsunterricht die Möglichkeit, konkret Sinn- und Lebensfragen aufzugreifen wie es sonst kein Gegenstand in dieser Schärfe tun kann und Wege, Orientierungshilfen für das Leben anzu- bieten. »Ethik« könnte zur Schärfung eines Standortprofils beitragen. Trotz aller scheinheiligen Beteuerungen - auch eine Form der Heuchelei - scheint es der Behörde offenbar nicht wichtig unter dem Deckmantel der Geldnot oder Sparwut alles denkbar Mögliche zu unternehmen, um den Gegenstand am Leben zu erhalten, von Weiterführung zur Unterstufe hin, wage ich nicht zu reden.
Man könnte somit darüber nachdenken, ob es für uns alle interessant ist, sich weiterhin
Sinn- und Lebensfragen in der Schule zu stellen, ob das nicht ein ganz wesentlicher Aspekt, wenn nicht sogar d a s R ü c k g r a t der AHS ist, dieses aber bestenfalls zu einer schwieligen Hornhaut rückgebildet, vielleicht sogar total gebrochen wird. Tod oder Auferstehung eines Schultyps? Sind diese angesprochenen Punkte in weiten Bevölkerungskreisen überhaupt diskutierbar?

Schulung des pluralen / umsichtigen Denkens und nicht das Abfragen nach Fast - food Standards, eingequetscht in Verwaltungs- und Rechtskorsette. Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass nicht alles in 15 Minuten abfragbar, objektivierbar ist, 16 Minuten zu prüfen, wäre bereits ein Formalfehler!

Das Leben selbst erteilt manche Zensur, vielleicht auch ungerechte Noten, darüber können sich dann Buchhalternaturen Gedanken machen.
-Wir wollen freie Menschen heranbilden, die Einsichten gewinnen in das komplexe System von Werden und Vergehen, vor allem sollen sie frei werden vom Zwang zur Nützlichkeit, Menschen, die Gefühl für Lebensnähe und Aktualität bekommen. Wollen wir so ein Menschenbild unseren SchülerInnen mitgeben, wie es der Erziehungswissenschaftler Alfred Schirlbauer drohend an die Wand malt: » ..Leicht bewegliche Truppen sind es, welche die Feldherrn des modernen Wirtschaftskrieges brauchen. Flexible, mobile, schnell reagierende Individuen sind gefragt. Deshalb dürfen sie mit Traditionen nicht belastet werden. Deshalb muss zunächst und vor allem Ballast abgeworfen werden. Ein guter Teil der Mittel, der bisher in lange Erstausbildungsphasen investiert worden ist - welche ohnehin nur anspruchsvoll und begehrlich machen! - wird vermutlich umgeschichtet in die kurzen, aber wiederkehrenden Phasen des lebenslangen Erwerbs von aktuell erforderlichen Kompetenzen; eine Prozedur, die so nebenbei auch noch die Eigenschaft hat, Individuen anspruchslos zu stimmen....« (in VCL Wien, grünes Mitteilungsblatt der »Vereinigung christlicher Lehrer an Höheren Schulen Österreichs« Jahrgang 33).

MitarbeiterInnen (LehrerInnen, SchülerInnen) motivieren, nicht desavouieren, nicht mobben, nicht evaluieren (vielleicht nach formalen Gesichtspunkten).
Wenn das Bild einer Gesellschaft sich verändert, in welcher Hinsicht auch immer, wie weit passt da noch der Rahmen (= Schule)?

V. EINLADUNG ZUM GEDANKENAUSTAUSCH ÜBER E-MAIL ODER PERSÖNLICHE GESPRÄCHE


um zu sehen, ob sich aus einer miserablen (schulischen) Gegenwart eine gelungene Zukunft entwickelt. Darin liegt letztlich auch die Frage, ob sich der Schultyp der AHS gänzlich auflöst, ob wir uns einer mühsamen Bildungs-, Reform- und Strukturdebatte stellen, um uns dann an einer neuen über weite Strecken anerkannten Schulform, wie immer sie heißen möge, freuen dürfen. Tod oder Auferstehung eines Schultyps? Das ist die Frage.


»Druckerversion (Neues Fenster)


nach oben, zurück zur Übersicht

Weitere geplante Themen bis 2013:
● »kompetenz-orientierte Standards«
● Schulreform
● Der Faktor Zeit (aus verschie- denen Blick- winkeln, Zeit im Unterricht, individuelle Lebenszeit, Lebensalter, historische Zeit, Zeit aus Sicht der Physik- didaktik, der Philosophie, individuelles Zeiterleben...)

Artikel werden gerne ange- nommen. Die Veröffentlichung bleibt der Redaktion und dem wissen- schaftlichen Beirat vor- behalten...
 
 
 
 
altes Logo der Zeitschrift Didaktik
»Member-Login
 © 2004 - 2025, Didakik