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Artikel aus 2012

Michel BÜNKER, Bischofsbrot und Mozartkugel.
Von irdischen Süßigkeiten und himmlischen Wahrheiten. (Styria 2010)

BRIGITTE BÜNKER


Dieses Buch mit dem provokanten Titel gibt insofern »süße« Botschaft, als ein evangelischer Theologe, ja der Bischof selbst, »sine vi sed verbo« (ohne rechtliche Gewalt - nur mit der Überzeugungskraft des Wortes) echte österreichische Schmankerln aus dem Metier heimischer Konditoren und Chocolatiers gustiert und lobpreist. Es sind dies lauter Produkte und Marken, die sich tief im kollektiven Gedächtnis der Österreicher und Österreicherinnen eingeprägt haben.



Initial I
nsbesondere die alltags- und kulturgeschichtlichen Informationen zu den Leckereien, die über die Beschreibung des Geschmackserlebnisses und der Ingredienzien hinausgehen, sind interessant und aufklärend, nicht nur weil man (auch wenn man nicht so naschhaft ist) jetzt weiß, was man isst, sondern weil man auch ein bisschen mehr darüber erfährt, wer und was man ist: Denn das Buch informiert nicht nur über heimatliche Besonderheiten rund um die beliebten Naschereien, sondern trägt auch zur Erhellung österreichischen Selbstverständnisses bei, stiftet Identität, macht neugierig auf das Süße im eigentlichen und im übertragenen Wortsinn …
Mozartkugel in einem Kelch
Wussten Sie beispielsweise, dass das biblische Manna (nach ‚himmlischer Süße’ schmeckend, Exodus, 16), das die Israeliten in der Wüste vor dem Verhungern rettet, tatsächlich die mit Honig gefüllten weißen Waben der Wüstenbienen waren - und wussten Sie, dass die Wiener Firma Manner mit diesem Manna zwar nichts gemeinsam hat außer den Gleichklang der ersten Silbe, dass die Firma Manner aber als einzige österreichische Firma den Stephansdom im Logo führen darf und dafür jedes Jahr der Dombauhütte einen Steinmetzen bezahlt, der wiederum gleichsam als Reverenz an den Mäzen eine rosafarbene Arbeitsmontur trägt? – Oben ist es das süße ‚Wunder’, hier das Markenzeichen, das das Süße in einen religiösen Zusammenhang bringt; in den Texten mittelalterlicher Mystiker und Mystikerinnen, die der Autor zitiert, ist dagegen von einer spirituellen Ergriffenheit, einem mit »süß« umschriebenen Gotteserlebnis die Rede, das kaum verbalisierbar ist. Als »süß« Empfundenes hat eben in vielen Kulturen auch eine religiöse Konnotation. Die ursprünglichste Form des Süßen - Honig (vor Erfindung des Rübenzuckers) galt in vielen Kulturen lange Zeit als Vorstellung für ein paradiesisches Sein schlechthin (»…wo Milch und Honig fließen«). Dass auch die Erfahrung des allerletzten Seins süß sein könnte, wird in der Kantate von J.S. Bach »Komm, du süße Todesstunde ...« als ultimative (freilich unter der Vorstellung einer barocken Frömmigkeit) letzte Chance gesehen.

Während der Autor die Marken- und Firmengeschichten mit den Methoden des Historikers und Sozialwissenschafters recherchiert, interpretiert er als Theologe die Symbolik der Markennamen, der Geschmacksrichtungen, der Formen und überträgt diese auf Allgemeingültiges, Sinnstiftendes und natürlich Christlich-Religiöses.

So enthalten die Kapitelüberschriften bereits die ersten diesbezüglichen Hinweise: »Lässt Gott im Regen stehen?« (für die Schokoschirmchen von Küfferle), »Gerechter Friede statt gerechtfertigter Krieg« (für die Schwedenbomben von Niemetz), »Die bittere Geschichte Österreichs« (für die Wiener Zuckerln von Heller). Österreichische Geschichte fokussiert sich in der Firmengeschichte der Familie Heller, deren Mitglieder ursprünglich dem jüdischen Glaubens angehörten: Große Integrationsleistungen der Donaumonarchie für Zuwanderer, zunehmender Assimilationsdruck und Ausgrenzung während der Ersten Republik … Das heutige Wien ist für den Nachfahren André: »A Taschenfeitl unter einem Himmel aus Marzipan.« Wo sind die Integrationsleistungen des heutigen Österreich, wie süß schmecken heute demokratisches Bewusstsein und Toleranz?

Heutige wirtschaftspolitische Entwicklungen und das wechselhafte Spiel der Globalisierung erfährt beispielsweise die Firma Haas: Die Produktion der PEZ-Pastillen war in den 70ern nach Connecticut/ USA verlegt worden, jetzt ist der Produktionsstandort wiederum in Traun, Oberösterreich, für den Autor zeigt sich in dieser Flexibilität auch ein Bekenntnis zu Nachhaltigkeit und verantwortungsvoller Kleinräumigkeit; Globalisierung ist also keinesfalls nicht unumkehrbar. (Übrigens entsteht die Bezeichnung PEZ aus dem ersten, dem mittleren und dem letzten Buchstaben des Wortes Pfefferminz.)

Natürlich muss vom Autor aus Sorge um den Erhalt des irdischen ‚Paradieses’ auch darauf hingewiesen werden, dass Süßes auf ökologisch verantwortungsvolle Weise hergestellt werden könnte, wie es z.B. die Fair-Trade- und Bio-Produkte der Firma Zotter zeigen; auch die so genannte »100-Meilen-Diät«, die einheimische Produkte vor weit her gereisten empfiehlt, ermöglicht verantwortliches Konsumieren von Süßem – denn wo bliebe zukünftig der Honig, wenn das durch die Belastung der Umwelt entstandene Bienensterben nicht aufgehalten wird?

Neben vielen anderen heimischen Gustostückerln ist für den Autor natürlich das Titel gebende Bischofsbrot aus der Konditorei Aida ein ganz besonderes, die Kapitelüberschrift (»Brot für die Herde – Kuchen für alle?«) weist auf die christliche Utopie hin, die Utopie einer egalitären Gesellschaft, die nicht spezielles Brot »für« den Bischof, sondern süßes Brot vom Bischof für alle bereit hält.

Mit den Nougatwürfeln »Ildefonso« (Bischof von Toledo, 8.Jh., Namengebung durch den Chocolatier Victor Schmidt im Jahr 1880) wird ein anderes Mal eine Süßspeise mit einem Bischof in Zusammenhang gebracht – ein rein zufälliges Zusammentreffen?

Jedenfalls ist das Buch vergnüglich zu lesen, macht Appetit auf Süßes und wirkt in seiner durchaus irdischen Sinnesfreudigkeit nahezu himmlisch.

 
ZUR PERSON


Mag. Brigitte BÜNKER ist stv. Chefredakteurin und Fachbereichsredakteurin für den Schulbereich und die Lehrer/innenbildung in Wien.
Sie ist AHS-Lehrerin für Deutsch und Geschichte und war langjährige Mitarbeiterin an der Abteilung für LehrerInnenbildung und Professionalisierungsforschung des Instituts für Bildungswissenschaft (Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien); Lehrbeauftragte der Universität Wien für Fachdidaktik Geschichte


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