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Artikel aus 2012

Wie die Ausnahme zur Regel wird

FRANK SCHWEIZER


Kritische Anmerkungen zum Grammatikunterricht im Fremdsprachenunterricht



I. ÜBERBLICK


In diesem Artikel möchte ich einiges Kritisches über die Didaktisierung grammatikalischer Erscheinungen in der Sprachunterrichtspraxis bemerken. Fast alle Lehrbücher für DaF/DaZ konfrontieren den Schüler, wenn es um Grammatik geht, mit den komplizierten Ausnahmen, anstatt leicht verständliche Regeln einzuüben. Dies hemmt den Lernprozess, weil es ihn unnötig schwierig macht, und verunsichert den Schüler unnötig. Ich möchte diese Problematik an einigen praktischen Lehrbuchbeispielen darstellen und danach die Gründe erläutern, warum es zu dieser »Verdrehung« des Einfachen durch das Schwere kommt. Dies führt mich am Ende des Artikels zu der These, dass Grammatik - zumindest in der Gestalt, wie sie die Lehrbücher vorgeben - noch zu sehr an der Tradition des Latein- und Griechischunterricht gebunden ist und als Ganzes einer Reform bedarf.

II. DIE GRAMMATIK ALS KONSTRUKT


Deutsch ist, wie ich einmal gehört habe, angeblich die sechst schwerste der staatstragenden Sprachen in Europa: Ungarisch, Finnisch, Russisch, Polnisch und Estnisch weisen mehr Grammatik auf (z.B. 15 Kasus im Finnischen). Aber Grammatik ist mehr als die Summe eines zu befolgenden Regelwerks. Wenn man von Grammatik spricht, spricht man auch von Ausnahmen. (1) Das lästige »Kleingedruckte« wird seltener gezählt als das Regelwerk. Zunächst einmal gilt es zu postulieren, dass Grammatik, so wie sie im Fremdsprachenunterricht gelehrt wird, ein Konstrukt ist. Kleine Kinder, die eine Sprache als Erstsprache lernen, lernen nicht die Grammatik, sie hören den Eltern zu und imitieren sie; dabei kristallisiert eine Sprachstruktur aus, die zwar jenseits des Bewusstseins liegt, aber doch eingehalten wird. Aus dem Sprachmaterial kommt eine gewisse Sprachstruktur. Jemand, der Deutsch als Fremdsprache lernt, geht den anderen Weg. Er beginnt bei der Grammatik und schließt von den Regeln auf die Form bestimmten Sprachmaterials. Allerdings muss auch ein Kind wie ein Deutsch lernender Ausländer in vielen Fällen die Ausnahmen memorieren. Dreijährige Kinder machen, je nach Sprachbegabung, bis zu 8% falsche Sätze. (2). In der regellosen Ausnahme treffen sich gewissermaßen die Lernbemühungen zweier verschiedener Lerntypen: Diejenige des die Grammatik nicht benötigenden Kindes und diejenigen des die Grammatik zu Hilfe nehmenden Ausländers. Grammatik ist ein Gerüst der Linguisten, die sie um die Sprache gebaut haben und das mit seinen Tabellen und Verblisten dem Beispiel der Grammatikalisierung des Lateinunterrichts augenscheinlich folgt. Typisch für das Konstrukt »Grammatik« scheint die Polarität zwischen Regel und Ausnahme zu sein. Diese Polarität schmiegt sich gut an die klassischen Sprachen Lateinisch und Griechisch an, die zahlreiche Ausnahmen kennen, aber würden eine eher ausnahmearme Sprache wie Türkisch weniger gut beschreiben. Die Übertragung dieses Modells »Grammatik« auf andere Sprachen ist oft unvollständig, was gewissermaßen neue Ausnahmen schafft. Übertragungsunschärfen. Mehr noch: Nicht alle Phänomene der Sprache lassen sich auf eine grammatikalische Regel reduzieren. Wann das deutsche Verb Akkustativ benötigt, wann Dativ, dafür gibt es keine Regel (auch in den klassischen Sprachen nicht), die dies komplett prognostizierbar macht. (3) Der deutsche Artikel ebenso wie das Binde-S, das für die deutsche Wortbildung so wichtig ist, bleibt jenseits des klassischen Regelwerks. Warum heißt es »Braut-kleid«, aber »Hochzeit-s-torte«? Manches lässt sich mit der klassischen Grammatik zwar annäherungsweise beschreiben, behält aber einen gewissen unverständlichen Beigeschmack: »Ich gehe baden«. Offensichtlich wird »gehen« hier wie ein Modalverb gebraucht. Jedoch sollten Modalverben einen gewissen Modus ausdrücken (»ich kann singen«, »ich muss singen«), was »gehen« hier eindeutig nicht macht. (4) Auch der Verdacht, dass Verben der Bewegung speziell die Fähigkeit hätten, ein Verb anzuschließen, das ein Ziel der Handlung ausdrückt, geht in die Irre, denn »ich laufe baden« ist falsch. Sind Ausnahmen also nichts weiter als eine Theorielücke? So einfach liegen die Verhältnisse nicht. Trotzdem lenkt dies vielleicht die Aufmerksamkeit darauf, dass Ausnahmen nicht nur sprachimmanent sein müssen (»ich gehe« / »ich ging«), sondern auch aus der Sprachbeschreibung selbst erwachsen können. Aber es wäre natürlich unvollständig, Ausnahmen nur darauf zu reduzieren.

III. WAS IST EINE AUSNAHME?


Zunächst einmal muss man vorbringen, dass Unregelmäßigkeit und Ausnahmen nicht immer das gleiche sind. Unregelmäßigkeit wird im täglichen Lehrer-Schüler-Dialog meistens auf Verben bezogen, während Nomen und Adjektive eher Ausnahmen kennen. Der Sprachgebrauch ist unscharf. Der Plural von »Kaktus« ist »Kakteen«. Die Bildung dieser Form ist mit den üblichen Regeln nicht vorhersagbar und gilt als »Ausnahme« und nicht als »unregelmäßig«. Verben dagegen werden größere Lizenzen in der deutschen Sprache gegeben, weswegen ihnen ein gesondertes Wort (»unregelmäßig«) betreffs schwieriger Formen zugelegt wird.
»Unregelmäßigkeit« selbst scheint im Grunde ein schlecht gewählter Begriff zu sein, »Andersregelmäßigkeit« wäre oft angebrachter. Wenn intransitive Verben der Bewegung im Perfekt mit »sein« statt mit »haben« gebildet werden, folgt das einer klaren Regel und ist im gewissen Sinne nicht unregelmäßig und auch keine Ausnahme. Man kann aber nicht sagen, dass bei Verben prinzipiell nicht von Ausnahmen gesprochen wird. »Ich bin geblieben« ist keine Bewegung und sollte im Deutschen eigentlich mit »haben« gebildet werden. In diesem Falle würde man, wegen der Nichteinfügung in irgendein Regelsystem, hier doch von einer Ausnahme sprechen. »Ausnahme« mit »ohne Regel« und »unregelmäßig« mit »seltener Regel« gleichzusetzen, deckt das Problemfeld nur teilweise ab. Es ist deswegen besser, Kriterien festzulegen, die beide Begriffe beschreiben (aber nicht voneinander abgrenzen können, weil der Sprachgebrauch eben ungenau ist). Was sind das für Merkmale? Als Kriterium für eine Ausnahme könnte man wahlweise Andersregelhaftigkeit (zum Beispiel die N-Deklination im Deutschen) und Unvorhersehbarkeit (»Kaktus« / »Kakteen«) sehen. Als weiteres und drittes Kriterium sollte noch Quantität genannt werden. Die Perfektbildung mit »sein« von »wachsen« / »ist gewachsen« oder »einschlafen« / »ist eingeschlafen« entspricht der oft zitierten Regel, dass Verben, die eine Zustandsänderung beschreiben, im Perfekt mit »sein« verbunden sind (Quantität = Gruppengröße). Trotzdem ist die Menge dieser Verben klein und kein Fremdsprachenlerner würde sie als bedeutend ansehen.
Interessanterweise ist die Frequenz, also die Häufigkeit einer Bildung, nicht unbedingt ein Kriterium für eine Ausnahme. Ausnahmen können in normalen sprachlichen Kontexten ständig im Vordergrund stehen. Besonders bei unregelmäßigen Verben des Perfekts oder Präteritum kann man die Faustregel aufstellen, dass ein deutliches Zeichen für die Wichtigkeit des Verbs dessen Unregelmäßigkeit ist: »Ziehen / zog / gezogen« ist eben ein häufigeres Verb als »schleppen / schleppte / geschleppt«. Andere Ausnahmen dagegen haben eine äußerst niedere Frequenz wie die Pluralbildung bei einigen sehr seltenen Worten (»Topos« / »Topoi«), die beachtet werden, obwohl Wort und Bildung rar sind.

IV. AUSNAHMEN IM KONTEXT DER LERNPROGRESSION


Die Frage, die ich hier stellen möchte ist: Wie ordnet man Ausnahmen innerhalb der Progression des Sprachenlernens ein? Soll der Lerner möglichst früh oder spät damit konfrontiert werden? Offensichtlich früh, denn Form und Inhalte der Grammatik, die in Lehrbüchern für Fremdsprache zu finden sind, lassen genau das erkennen. Lehrbücher konfrontieren die Schüler ständig und rasch mit den Ausnahmen. Implizit könnten dem folgende Argumentation zugrunde liegen: Ausnahmen stehen im Zentrum des Spracherlernen, weil ihnen besondere Wichtigkeit zukommt. Natürlich muss jemand, der eine Sprache lernt, quasi »alles« lernen, regelmäßige und unregelmäßige Formen. Aber es könnte beim Erstellen einer sinnvollen Lernprogression wichtig sein, den Schüler möglichst früh mit diesen Ausnahmen zu konfrontieren, damit ihm ausreichend viele Gelegenheiten geboten werden, diese schwierigen Formen zu erlernen und zu repetieren. Wie seltsam zumindest wäre es, wichtige Formen wie »sein« / »ist gewesen« - da sie eine Ausnahme darstellen - erst am Ende einer Lernprogression zu präsentieren. Für die Kenntnis der Ausnahmen spricht oft ihre Frequenz.
Meine Kritik an der bisherigen Lernpraxis ist aber, dass der Ausnahme zu viel und der Regel zu wenig Raum eingeräumt wird. Die ständige Konfrontation des Schülers mit den Ausnahmen, statt mit den Regeln, trägt zur Konfusion und zur Verunsicherung bei. Es ist seltsamerweise üblich, den Schüler, wenn er eine neue Grammatikerscheinung lernt, geradezu zuerst mit der der Ausnahme, statt mit der Regel zu konfrontieren. Dieses kontinuierliche Mischen der regelhaften Grammatik mit deren Brüchen (»input flooding«) (5) erzeugt ein sehr chaotisches Bild der deutschen Sprache und blockiert kompetente Sprachbeherrschung. Man könnte dies fast einen Grammatikschock nennen. Fehler durch Nichtverständnis, aber auch durch die Anwendung von »zuviel« Grammatik (»over-use of grammar«) (6) sind die Folge.

V. DIE LEHRWERKE VON HEUTE


Blicken wir einmal auf die gängige Praxis der DaF-Lehrbücher, ohne dass ich den Ehrgeiz hätte, alle Lehrbücher flächendeckend zu bearbeiten. Es geht mir viel mehr darum, ein Problem zu benennen, das jedem Lehrer für Fremdsprachen schon einmal begegnet ist. Einige Bücher also mögen bezüglich dieses Problems bessere, einige andere noch schlechtere Lösungen gefunden haben.
Komparativ- und Superlativ kommen in der Grammatikprogression bereits recht früh (A1/ spätestens A2) vor. Dies suggeriert eine gewisse Wichtigkeit. Im alltäglichen Sprachgebrauch stehen Vergleiche sicherlich nicht im Vordergrund. Die Regel bei der Komparativ- und Superlativbildung lautet: Einsilbige Adjektive haben einen Umlaut (»stark« / »stärker« / »am stärksten«). Zwei- oder mehrsilbige Adjektive haben keinen Umlaut (»sympathisch« / »sympathischer« / »am sympathischsten«). Von der ersten Regel gibt es etwa 15-20 Ausnahmen (7) (»bunt« / »bunter« / »am buntesten«), von der zweiten Regel ist nur eine einzige (»gesund« / »gesünder« / »am gesündesten«) bekannt. (8)
Kaum ein Lehrwerk glaubt bei der Einführung dieser Grammatikform ohne die sofortige Nennung der Ausnahmen auskommen zu können. Themen 1 aktuell (2007) führt diese Grammatik anhand eines blau unterlegten Kastens (S.110) ein und listet Vokalveränderungen auf:

»a -ä: lang-länger
a- a: schmal - schmaler, langsam - langsamer
o-ö: hoch - höher, groß -größer
u-ü: kurz- kürzer
u-u: dunkel - dunkler
_________________________________________
teuer-teurer gut-besser«

Dass »gut-besser« als wirklich herausragende Ausnahme genannt wird, das mag man nachvollziehen. Aber was wohl als erklärender Überblick gemeint war, ist eine Aufzählung von Ausnahmen statt der Regel. »schmal -schmaler« ist, was die Formbildung angeht, eine Ausnahme, »dunkel - dunkler«, »teuer-teurer« (9) und »hoch -höher«, was die Rechtsschreibung betrifft. Mehr noch: Die Aneinanderreihung von »schmal - schmaler« und »langsam -langsamer« verdunkelt die recht einfache Silbenregel, die besagt, dass einsilbige Adjektive einen Umlaut erhalten. Inhaltlich ist der »Kasten« natürlich nicht falsch, aber würde man nur anhand dieses Kastens zu verstehen versuchen, was Regel und was Ausnahme oder ob es überhaupt eine Regel gibt, würde dies recht schwer fallen. Es bleibt dann letzen Endes Aufgabe des Lehrers, Ordnung zu schaffen. Wäre es nicht sinnvoller, wenn man den Schüler mit der Regel konfrontierte, die sogar recht leicht selbst vom Schüler zu eruieren wäre (»schwach - schwächer«, »jung - jünger«, »kalt - kälter«) und man die Ausnahme entweder auf ein anderes Kapitel oder zumindest auf einen späteren Zeitpunkt verschieben würde, wenn die Regel verstanden und die passende Zeit eingeübt wurde?
Ähnliche Verhältnisse findet man in den Lehrbüchern beim zugegeben recht komplizierten deutschen Perfekt. Die Lehrbücher fahren bei der Einführung des Perfekts in der Stufe A1 meist beinahe mit dem gesamten »Programm« auf. In »studio d A1« (2008) wird im 9. Kapitel das Perfekt präsentiert, mehr oder weniger in vollem Umfang. Die üblicherweise an dieser Stelle gleich eingeführte Regel, dass intransitive Verben der Bewegung das Perfekt mit »sein« bilden, wird im Lehrbuchteil (S.49) in einem rosa unterlegten Kasten auf folgende Weise dargestellt:

»Die meisten Verben bilden das Perfekt mit haben. Lernen Sie das Perfekt mit sein: fahren -ist gefahren; laufen - ist gelaufen; fliegen - ist geflogen; bleiben - ist geblieben; passieren - ist passiert - sein -ist gewesen«

Statt sich auf die Verben mit »haben« zu beschränken, deren Verständnis zunächst ein wichtiger Lernschritt darstellen würde, fügt das Buch auch noch die Verben mit »sein« im Perfekt bei: Doch die anhand genügend Beispiele verstehbare Regel der Verben der Bewegung mit »sein« im Perfekt lässt sich aus diesen Beispielen nicht ablesen. Mit »sein«, »bleiben«, »passieren« (»werden« fehlt noch) sind die größten Ausnahmen in der Perfektbildung aufgezählt und unter einer Gruppe von Verben gemischt - die der Bewegung - die eigentlich eine recht klare Regel kennen. Wiederum bleibt es am Lehrer hängen, Ordnung in eine unordentliche Präsentation von Regeln zu bringen. Sinnvoller wäre es dagegen, Schritt für Schritt die einzelnen Bildungsgruppen des Perfekts zu erlernen. Perfekt ist für viele Tausende Verben im Deutschen leicht: »machen - ich habe ge-mach-t«. Warum übt man dieses Bildungsmuster nicht zuerst ein, anstatt mit »ich bin geblieben« zu starten?
Immerhin entzerren einige Lehrbücher das Perfekt, indem sie es auf zwei Kapitel verteilen (die wie in Berliner Platz 1 (Kap. 10/11) allerdings direkt aufeinander folgen). Jedoch gelingt es vielen Lehrbüchern nicht, - trotz der Bemühungen, schwierige Grammatik auf zwei (selten mehr) Kapitel zu sortieren - ein klareres Grammatikbild zu zeichnen. Stufen international 1 (2006) führt die Verbkonjugation im Präsens in der Grammatikübersicht (S.25) des Kapitels 2 mit den Verben »leben« und »heißen« ein, ergänzt sie durch die sicherlich sinnvollen, aber unregelmäßigen Verben »sein« und »haben«, jedoch komplettiert das Buch die Liste mit dem Verb »sprechen«, das im Gegensatz zu den regelmäßigen Verben einen Vokalwechsel hat. Im Kapitel 5 (S.55) findet man einen Übersicht über die Konjugation zweier Verben, die unter der Überschrift »Verb: Konjugation« kommentarlos in einem gemeinsamen Kasten nebeneinander gestellt sind: »arbeiten« und das trennbare Verb »fernsehen«. In Kapitel 6 (S.65) folgen weitere Kästen mit den Konjugationen »lesen«, »treffen«, »nehmen«, die auf einen Vokalwechsel »e-i« im Präsens hinweisen, der eigentlich in den Kapiteln 2 und 5 schon eingeführt wurde. Ebenso schmucklos steht die Konjugation des »a-ä« umlautenden Verbs »fahren« (einziges Beispiel) neben dem Modalverb »möchten«. Das Bemühen, die Grammatik zu entzerren, mag vorhanden gewesen sein, aber warum trennt das Buch nicht die Konjugation in »regelmäßige« Verben, Verben mit »e-i«-Wechsel im Präsens und davon gesondert »a-ä« umlautende Verben? »Möchten« ist ein Modalverb und »fernsehen« ein trennbares Verb. Beide tummeln sich zwischen den anderen Verbbildungsmustern. Der Schüler kann sich wahrscheinlich nur mit Mühe gegen den Eindruck eines gewissen Durcheinanders wehren.
Als letztes Beispiel einer sehr langen Liste soll ein weiteres typisches Phänomen sein, nämlich dasjenige, scheinbar parallele grammatikalische Erscheinungen nebeneinander zu stellen, wodurch eine im Grunde einfache Regel obskur wird. So zu Beispiel Tangram B1/1 (2005), wo auf Seite 41 »so - dass«-Konstruktionen (Konsekutivsatz) eingeführt werden. Im Grunde keine so komplizierte Grammatik, mit der eine Folge aus einer Handlung beschrieben wird. »Ich habe den Wecker nicht gehört, so dass ich spät aufwachte« (Übungsbeispiel, S.113). Dass dies zu einfach sei, haben sich wohl die Macher des Buches gedacht. Sie führen gleichzeitig eine Parallelkonstruktion mit »so-dass« ein, die die Regeln der Anwendung variieren: »Unsere Arbeit ist so optimal organisiert, dass wir sehr viel Zeit für die Kinder haben« (Übungsbeispiel, S.112). Der Schüler muss nun also nicht nur »so-dass« (nach dem Komma) als Konsekutivsatz verstehen, sondern auch ein in den Hauptsatz gezogenes »so«, welches das Adjektiv betont. Jetzt ist die Grammatik natürlich plötzlich kompliziert, weil zwischen zwei Bildungsmustern - welche davon nun die regelhaftere ist, soll offen bleiben - entschieden werden muss. Wer könnte auf Anhieb die Abgrenzungsregeln dieser beiden grammatikalischen Phänomene angeben? Wo ist eigentlich der genaue Bedeutungsunterschied zwischen »Ich war auf der Heimfahrt sehr nervös, so dass ich einen Unfall verursachte« (S.113) und »Ich war auf der Heimfahrt so nervös, dass ich einen Unfall verursachte«. Wird hier dem Schüler nicht unnötig als Verständnisballast aufgebürdet von etwas, was eigentlich vorher leicht zu verstehen war?

VI. GRÜNDE FÜR DEN ÜBERTRIEBENE DOMINANZ VON AUSNAHMEN


Woher kommt das, dass Ausnahmen wichtiger sind als Regeln oder zumindest dem Schüler präsenter gemacht werden? Ich kann nur einige Vermutungen anstellen. Ist es ein Phänomen, das man als didaktischen »Dammbruch« bezeichnen kann? Wenn das Wort »Relativsätze« fällt, dann muss der ganze Relativsatz behandelt sein. Er ist »dran« und dann »schwappt« er in Gänze über die Buchseiten. Befriedigen die Lehrbücher etwa gar nicht die Interessen der Schüler, sondern eher die der Lehrer, indem sie ihnen Raum verschaffen, schwierige Dinge zu erklären? Das Buch stiftet womöglich die gewollte Verwirrung beim Schüler, die der Lehrer dann beheben kann. Im Aufgabenteil werden lieber die Ausnahmen exerziert als der Normalfall. Die idealisierte Erwartung ist, dass ein Schüler die Ausnahmen genauso leicht aufnimmt wie die Regeln. Wenn Schüler nicht verstehen, dann kann es an Faulheit, Dummheit oder an falschen »Lernstrategien« (10) liegen, die der Schüler zeigt. Abgefragt in Klausuren, das weiß sicher jeder aus eigener Erfahrung, werden sehr oft lieber die Ausnahmen als die Regeln: Möglichst knifflige Sätze mit raren Konstruktionen unter dem Schlagwort »Transferaufgabe«. Ein Schüler, - und das scheint das deutsche Didaktikverständnis zu sein - der alles, was im Unterricht gelehrt wurde, verstanden hat, ist in den Augen deutscher Pädagogen ein mittlerer oder ein gar mittelmäßiger Schüler. Die Schule sortiert die Bevölkerung (Hauptschule, Realschule, Gymnasium), aber auch innerhalb der Klasse identifiziert sie den Klugen und den nicht so Klugen per Note. Die Sortierfunktion der Schule wird anhand Aufgaben etabliert, an denen ein Teil der Schüler scheitert. (11) Das mag vielleicht in den deutschen Schulen seine Berechtigung haben, aber sollte nicht zwangsläufig die Lernwelt eines Ausländers im DaF/DaZ-Unterricht prägen, denn der ist ein guter Schüler, wenn er die Regeln versteht. Manifestiert sich in der Wichtigkeit der Ausnahme eine unangemessene Pädagogik? Dann wären die Lehrbücher nichts weiter als eine Fehlerproduktionsmaschine mit dem Ziel der Selbstermächtigung des Lehrers! Aber Fehler haben auch ihren Zweck, könnte man einwenden; sie zu produzieren kann doch nicht falsch sein, denn aus Fehlern kann man lernen. Vielleicht auch nicht: Aus der Fehlerkorrektur geht selten Fehlerfreiheit hervor, (12) aber doch die Botschaft an den Schüler: »Du brauchst mich noch«.
Gelegentlich beschleicht einen der Verdacht, dass die Macher mancher Bücher nicht wirklich hinter die gesamte deutsche Grammatik sehen, besonders wenn sie - wie im Falle der Komparativformen - Regeln für die Bildung nicht klar herausarbeiten, oder im anderen Fall der obskuren Hoffnung folgen, der Lehrer möge Licht dahinter bringen, warum ein Verb der Bewegung im Perfekt mit »sein« (»ich bin gefahren«) ein anderes mit »haben« (»ich habe gebracht«) gebildet wird. Vielleicht ganz passend dazu, dass gar nicht so seltene Fälle wie »ich habe das Auto gefahren«, selbst in Mittelstufenbüchern nicht erklärt werden.
Aber das Problem reicht tiefer und lässt sich nicht nur aus fehlenden Kenntnissen der Buchautoren erklären: Im internationalen Forschungs- und Lehrrahmen spielt der Grammatikunterricht seit der Kehre in den 1970er Jahren zum kommunikativ-pragmatischen Sprachlernverständnis eine geringere Rolle. Die vier bestimmenden Fertigkeiten (»Sprechen«, »Schreiben«, »Lesen«, »Hören«) räumen der Grammatik nur noch einen dienenden Platz unter den allgemeinen »linguistischen Kompetenzen« (13) ein. Die Ansicht war und ist, dass die Regeln des tatsächlichen Sprachgebrauchs die Regeln der Grammatik ersetzen könnten, (14) ja der Grammatikunterricht von »skandalöser Zwecklosigkeit« (15) sei. Auch in der Prüfungspraxis wie dem »Deutschtest für Zuwanderer« wird Grammatik nicht gesondert abgefragt, wodurch der »Wert« der Grammatik gesenkt wird. Praktische Konversation statt theoretische Grundlagenarbeit, eine Idee, die so idealistisch erhöht war und ist, dass sie ungreifbar wirkt, und mehr einer Schreibstubendidaktik entsprungen zu sein scheint als aus der sinnvollen Praxis. (16) Wenn es überhaupt Grammatik zu untersuchen gäbe - so wird argumentiert -, dann solle sie als »kommunikative Grammatik« aus den »Mitteilungsbereichen« und aus »den Grundkategorien der Wirklichkeit hergeleitet werden«. (17) Ein steiles Konzept für Lerngruppen, die in der Abgeschiedenheit eines Klassenzimmers sitzen. Die »geistige Energie«, wenn man so sagen kann, der Lehrwerksautoren entlädt sich seit damals in dem Versuch, auf Papier lebendige Kommunikationen zu simulieren. Lebendige Konversationen in Lehrbücher zu imitieren ändert aber nur den Lerngegenstand (was gelernt wird), aber hat nicht zwangsläufig einen Einfluss auf die Lernstrategie eines Schülers (wie gelernt wird). Es scheint aber trotzdem der Glaube verbreitet zu sein, dass die Lehrbücher durch Konversationslastigkeit »leichter« geworden wären. Dem ist sicherlich nicht so (nur 57% der Teilnehmer der vom Bund finanzierten Integrationskurse bestehen die B1-Prüfung). (18). Denn nichtsdestotrotz bestimmt die Grammatik immer noch die Progression der Lehrbücher. Die Grammatik ist die Realität des Lernalltags und - auch wenn dies nicht das letztgültige didaktische Argument sein kann - sie ist das, wonach der Schüler zwischen A1 und B1 verlangt. (19) Gestalt und Progression der Grammatik scheint seit längerer Zeit, vermutlich seit vielen Jahrzehnten (aufgrund der linguistischen Kehre zu kommunikativen Situation), nicht mehr durchdacht und angepasst worden zu sein und immer noch den Traditionen des Latein/Griechisch-Unterrichts zu entsprechen. Diese Tradition ist eben die Spannung aus Regel und Ausnahme. Sicherlich hat der Grammatikunterricht seit den 1990ern wieder etwas an Terrain geworden, (20) trotzdem ist es beispielsweise absolut überfällig, Lehrbücher zu schaffen, die Themen enthalten wie beispielsweise den deutschen Artikel und dazu passend Lerneinheiten, die das Konzept des Artikels denjenigen Schülern erklären, deren Sprachen (Russisch, Türkisch etc.) diesen nicht kennen, und zwar in der gleichen Ausführlichkeit wie das Perfekt (21) erklärt wird. (22) Aber nicht nur die Schaffung des »Neuen« ist unterblieben, man hängt noch am »Alten« fest. Diese »alte« Form der Grammatikdarreichung, wo die Ausnahme über der Regel steht, impliziert sowohl einen lerngeübten Schüler, aber auch eine Sprache wie das Altgriechische, das mehr als 450 unregelmäßige Verben kennt, die selbst wieder, je nach Zeitform, in zehn sehr unregelmäßige Formen zerfallen. In so einer Sprache steht die Ausnahme tatsächlich vor der Regel. Das trifft so nicht auf das Deutsche zu.

VII. DIE EINÜBUNG DES REGELHAFTEN


Ausnahmen haben natürlich ihren Platz in der deutschen Sprache und deswegen auch im Sprachenlernen, aber sie sollten erstens nicht die Regel verdunkeln, zweitens nicht das Üben der Regel behindern und drittens nicht das Gefühl vermitteln, dass Deutsch undurchschaubar ist. Nick C. Ellis hat bemerkt, dass die Schwierigkeit für einen Schüler, eine Sprache zu erlernen, im Folgendem bestehe: »Simple associative learning mechanisms are exposed to complex language evidence«. (23) Dieser »Lernmechanismus« lässt sich am besten so beschreiben: Wer eine Grammatikregel lernt, sucht im sprachlichen Material nach »Auslösern«, die diese Grammatikerscheinung nach sich ziehen. Ein Schüler schloss einmal aus Sätzen wie »Ich kaufe einen Kuchen«, »ich esse einen Hamburger«, »ich bestelle einen Salat«, dass der Akkusativ im Deutschen mit Esswaren verbunden sei. Es dauerte eine Zeitlang, bis ich im Unterricht dahinter kam, warum er in einem Falle (wenn es um Möbel ging) keinen Akkusativ anwendete und im anderen (bei Essen) dies aber korrekt tat. Sprachelernen, genauer Grammatiklernen, heißt Auslöser erkennen und setzen können. Ein simpler Prozess augenscheinlich, wenn er »simple« Lernmaterie bearbeitet. Kann ein Lehrer aber diesen Auslöser nicht angeben, gilt die Grammatik als unverständlich. (Warum heißt es: »Ich frage den Mann«, aber »ich antworte dem Mann«?). Je einfacher man die sprachliche Umgebung hält, desto besser wird es dem Lerner gelingen, den normalen Auslöser zu finden (im A1-Bereich: der Akkusativauslöser = der dem Verb nachgestellte Artikel). Auf dieser Stufe, diesen Auslöser zu finden und diesen zu variieren, ist bereits eine große Leistung. Stellt man also einen Schüler in die Welt der Ausnahmen - wo Auslöser Legion sind und unzuverlässig - wird dieser grundsätzliche Lernmechanismus wenig Erfolg haben.
Auch das Erlernen des Regelhaften ist ein Prozess, der seine Zeit braucht. Man darf die Schwierigkeiten der Regelbeherrschung nicht unterschätzen. Obwohl das Deutsche und das Holländische sehr nah verwandt sind und beide Sprachen im Nebensatz eine SOV-Struktur bevorzugen, beobachtet man immer wieder, dass deutsche Schüler des Holländischen Nebensätze mit SVO bilden. (24) Hier sollte eigentlich kein Problem auftauchen. (25) Von der Kenntnis zur Übungsphase zur Wiederholungsphase und zur sicheren Beherrschung bedarf es Zeit. Zeit, die eben auch verkürzt wird, wenn zur Einübung beispielsweise bestimmter Schreibausnahmen »dunkel- dunkler« in der Stufe A1/A2 viel Zeit verwendet wird. Deswegen erachte ich es nur als Teillösung, komplizierte Grammatik auf zwei aufeinanderfolgende Lernkapitel zu verteilen. Grammatik auch die Regelhafte muss sich im Kopf erst einmal »setzen«. Aufeinanderfolgende Kapitel bedeuten in der Intensivkurs-Praxis heutiger Zeit: Am Mittwoch alle Adjektive mit bestimmten Artikel, am Donnerstag alle Adjektive mit unbestimmten Artikel. Die Nachteile liegen auf der Hand. Im Schüler muss sich zuerst ein Gefühl von Sicherheit und Kompetenz aufbauen, dann wird er die gelernten Konstruktionen aktiv verwenden. Gerade die heute so sehr gefragte aktive Beherrschung einer sprachlichen Konstruktion hängt stark von der Prognose des Schülers ab, ob er eine Grammatik richtig verwenden wird, Viele Schüler trauen sich nicht, eine Fremdsprache im Unterricht oder im Alltag zu sprechen aus Angst vor Fehlern. Diese stellt sich natürlich recht schnell ein, wenn ihm im Unterricht eine rettungslos tückische Grammatik dargeboten wird.
Oft wird diskutiert, - da ja gerade Teilnehmer von Integrationskursen gerne als »lernschwach« eingestuft werden - ob die Progression zu steil sei oder statt Grammatik einfach Konversation gelehrt werden sollte. Mir dagegen scheint eher, die Grammatik müsste klarer und regelhafter dargeboten werden (26) und die Ausnahmen von den Regeln getrennt werden, zumindest bis zum dem Zeitpunkt, an dem die meisten Schüler eine Grammatik verinnerlicht haben. Letztendlich ist die Vermischung von Regelhaftem mit den Ausnahmen nur ein Symptom eines weiteren Problems, nämlich demjenigen, dass die Kategorie »Grammatik« von den Lehrbüchern seit langer Zeit nicht mehr durchdacht und erneuert worden ist; nicht einmal die Hypothese von den Spracherwerbsstufen (welche besagt, dass Grammatik nur in einer bestimmten »natürlichen« Reihenfolge gelernt werden kann) (27), die seit den 1980ern – ob zutreffend oder nicht - in der Literatur (28) Widerhall gefunden hat, hat an der Grammatikprogression der meisten Bücher etwas geändert, stattdessen dominiert noch die Traditionen der lateinisch- griechischen Grammatik mit ihrem schweren morphologischen Ballast. Es gibt in diesem Bereich noch viel zu tun, denn die Didaktik der Grammatik ist in den Lehrbüchern unterreflektiert und sie braucht ein neues Fundament. Das augenblickliche Resümee muss in Bezug des Umgangs mit Grammatik lauten, dass Lehrbücher eher den Lernfortschritt behindern als ihn zu ermöglichen.

ANMERKUNGEN



1: Ich setze in diesem Aufsatz Grammatik mit Regelhaftigkeit gleich. Ich bin mir einer gewissen Vereinfachung des Sachverhalts bewusst. Maria Teresa Guasti (2002) weist in ihrem Buch »Language acquisition. The growth of grammar« (Cambridge) darauf hin, dass Teil der Grammatik auch »constraints” («Hemmnisse” ) (S.8) sind.

2: Und das sogar in der grammatikärmeren Sprache Englisch. Vgl.:
Steven Pinker: Language acquisition. S.9. Quelle online: http://cogsci.soton.ac.uk/~harnad/Pap ers/Py104/pinker.langacq.html

3: Die Trennung zwischen Dativ = indirektem Objekt und Akkusativ = direktem Objekt ist für den DaF/DaZ-Unterricht wenig nützlich, bzw. nur bei zwei Satzobjekten anwendbar (Warum ist bei »ich gratuliere dir«
das »dir« indirekt? Man dankt doch »direkt« ?!). Im Altdeutschen drückte der Akkusativ das Ziel einer Handlung aus und der Dativ die Richtung einer Bewegung (heutzutage mit »zu« ausgedrückt). Im heutigen Kasusgebrauch
(»ich gebe dir den Brief«) spürt man durchaus noch die Richtung, die der Dativ einmal anzeigte. Es gibt andere Erhellungsversuche. So meint eine alte, aber gar nicht so unkluge Grammatik - George Curme(1922): A grammar of the German language. London -, dass der Akkusativ eine Tendenz hat, Objekte »äußerlich« zu betreffen, der Dativ, wenn er nicht mit einem weiteren Akkusativ verbunden ist, aber »innerlich« (S.494): »Mir wird schlecht« , »ich vertraue dir« / »ich trete dich« , »ich hebe den Stuhl« . Ausnahmen lassen sich allerdings finden.

4: In der altniederdeutschen Sprache wurde Akkusativ manchmal mit intransitiven Verben der Bewegung benutzt, um ein Ziel auszudrücken. So heißt es im Heliand (4495,7): »He scolde gifaren his father odil« (»Er sollte zum Haus seines Vaters gehen«). Diese Erscheinung hat sich in der obigen Formulierung erhalten.

5: Vgl.: Rod Ellis(1997): Second language acquistion Oxford. S. 88.

6: Vgl.: Stephen Krashen (2009): Principles and practice in second language acquisition. Internet edition. S. 19.

7: Zur sprachhistorischen Entwicklung siehe:
Gerhard Aust(1971): Über den Umlaut bei der Steigerung. In: Wirkendes Wort 21, S. 424-431.

8: Sprachhistorisch wurde im Mittelhochdeutschen die Steigerung ohne Umlaut gebildet und es gab wenige Adjektive mit Umlaut. Dieses verkehrte sich im Laufe der Sprachgeschichte zum Gegenteil. Vgl. Aust (1971).
Ausnahmen sind, wie man hier sieht, oft Reste eines anderen Sprachzustands.

9: Berliner Platz 1 nennt im Grammatikteil (S.141) nur wenige Beispiele der Komparativbildung. Darunter auch die Ausnahme wie »teuer« und die logisch bedenkliche Form »schwärzer« . Immerhin gibt das Buch (sehr verhalten) die Regel an: »Einsilbige Adjektive haben oft Umlaut.« (S.141). Trotzdem – sicherlich im Unterricht ausgleichbar - taucht dann im Übungsbuchteil, das Adjektiv »gesund« (S.228) ebenso auf.

10: Chudak fordert die Erlernung zahlreicher Lernstrategien durch den Schüler. Je mehr Lernstrategien, desto erfolgreicher ist angeblich der Schüler. Hier wird dem Schüler, meiner Meinung nach zu viel aufgebürdet.
Viele Schüler die Deutsch lernen, sind erwachsen; es ist einfach nicht ganz passend, solchen mit Vorschriften zu kommen, dass sie ein Vokalheft oder dergleichen zu führen haben.
Sebastian Chudak (2008): Training von Lernstrategien und -techniken für die Arbeit an der Grammatik in Lehrwerken für den DaF-Unterricht. In: Christoph Closta u.a (Hg.): Auf neuen Wegen. Deutsch als Fremdsprache in Forschung und Praxis. Göttingen. S. 125-141.

11: Ein mir bekannter Lehrer wurde zum Rektor zitiert und ermahnt, weil er zu viele gute Noten gab. Zur Problematik der Fehlerkorrektur, vgl.:
Karin Kleppin (1998): Fehler und Fehlerkorrektur. Formen und Funktionen von Fehleranalyse, -korrektur und -therapie. Berlin: Langenscheidt.(= Fernstudieneinheit 19)

12: »Linguistic competence is an umbrella concept that comprises basic elements of written communication such
as vocabulary or lexicon, grammar rules, and conventions in mechanics.”

Esther Uso-Juan u.a.(2006): Current trends in the development and teaching of the four language skills. Berlin. S. 391.

13: Vgl.: John Corbett (2003): An intercultural approach to English language teaching. Clevedon. S. 20.

14: Hans-Jürgen Heringer (1995): Grammatikunterricht - wozu? In: Mitteilungen des Germanisten-Verbandes 2, S.9.

15: Virginie Fasel u.a.(2009) hat aufgrund ihrer Untersuchung resümiert (und damit auch die Idealität des Ansatzes gezeigt), dass auch im Jahr 2009 noch fehlt: «L’ elaboration de méthodes structurées pour l’ enseignement de l’ oral» :
Virginie Fasel (2009): L’ oral? L’ oral! Mais comment? Apprendre, engseigner, évaluer l’ oral en classe de langue seconde. In: Babylonia 2, S.44.
Es gibt (noch) keine verlässliche, strukturierte Methode mündliche Kommunikation zu lehren. Der Lehrer schafft lediglich den Sprechanlass. Und was ist denn, wenn ein Schüler Schwierigkeiten hat, Konversation zu betreiben? Welche didaktischen Mittel (außer: «Los, sprich!») stehen eigentlich zur Verfügung?

17: Dietmar Rösler (2007): Kommunikative Grammatik. Ein in Ehren gescheitertes Konzept? S. 45-54. In: Hans-Jürgen Krumm (Hg.): Bausteine für Babylon: Sprache, Kultur, Unterricht. München. Alle drei Zitate: S. 51.

18: Sevim Dagdelen: Teure Integrationskurse. Süddeutsche Zeitung. 9.12.2009. S. 41.

19: Eine Untersuchung unter Deutschschülern, welche die Wichtigkeit bestimmter Kursinhalte platzieren sollten, ergab, dass sich doch die meisten vom Unterricht grammatikalische Themen (Platz 1-9) erwarten, während
beispielsweise Redewendungen erst auf Platz 10 und Phonetik weit ab auf Platz 15 landeten.
Vgl.: Paul-Ludwig Völzing (1998): Über Inhalte des Grammatikunterrichts. S. 80. In: Paul-Ludwig Völzing (Hg.): Deutsch als Fremdsprache. Essen. S.73-93.

20: Zur Geschichte der Kontroverse, vgl.:
Marlene Rall (2001): Grammatikvermittlung. In: Gerhard Helbig (Hg.): Deutsch als Fremdsprache – ein internationales Handbuch. Berlin. S. 880-887.

21: Es ist mir auch kein Lehrbuch bekannt, dass beispielsweise den Sprachunterschied in Formulierungen wie «ich finde es» und dem im Türkischen und anderen Sprachen stets weggelassenen Akkusativpronomen («ich finde» «buluyorum») grammatikalisiert und gar in Übungen erarbeitet: Ein sehr großes Verständnisdefizit der Lehrbuchautoren.

22: Lerngrammatiken kontrastiv auf der Schülersprache beruhen zu lassen, fordert auch Abraham.
Walter Abraham (1998): DaF-Typologie. Die logische Struktur typologischer DaF-Grammatiken. In: Papiere zur Linguistik 59,2. S. 181-222
Die Gegenposition, eine Grammatik auf den typisch deutschen
Spracheigenschaften beruhen zu lassen, vertritt Fabricius-Hansen.
Catherine Fabricius-Hansen (1996): Nachdenken über Deutschgrammatiken für Ausländer. In: Journal of linguistics 17, S. 123-137).
Auch sie muss allerdings einräumen (S. 128f), dass es seine solche Grammatik noch nicht gibt.

23: Nick C. Ellis (2003): Constructions, chunking, and connectionism: The emergence of second language structure. In.: Catherine J. Doughty u.a.(Hg.): The handbook of second language acquisition. Oxford. S. 85

24: Maren Pannenmann (2000): Does L1-grammar affect second language acquisition? A study investigating perceptive knowledge of German native speakers targeting another SOV-language. Groningen. S.3. Internet: http://home.medewerker.uva.nl/m.pannemann/bestanden/
Does%20L1%20Grammar%20affect%20second%20language%20acquisition.pdf

25: Offensichtlich beeinflusst die Kenntnis des Englischen die Satzstruktur.

26: Am ehesten entspricht das Lehrbuch «Lagune» mit den kleinen überschaubaren Kapiteln diesem Anspruch.

27: Dass im «Themen-aktuell»-Buch Indefinitpronomen in A1 Lektion 5 vorkommen, wäre ein solcher, grober Verstoß gegen die natürliche Ordnung.

28: Vgl. u.a.: Manfred Pienemann (1984): Psychological constraints on the teachability of languages, In: Studies in Second Language Acquisition (6/2), S. 186-214.
Kritik der Praxis:
Anke Lenzig (2004): Analyse von Lehrwerken für den Englischunterricht in den Grundschulen. In: Mitteilungsblatt des fmf Landesverband Schleswig-Holstein. (August/2004). S. 36-41.

 
ZUR PERSON


Frank Schweizer (geb. 1969) studierte Philosophie und Germanistik in Stuttgart. Nach seiner Promotion über den österreichischen Autor Adalbert Stifter arbeitete er in einer Zeitschriftenredaktion. Seit 2003 lebt er als freier Autor und Dozent bei Esslingen. Er unterrichtet an der Universität
Stuttgart und anderen Lehranstalten Deutsch als Fremdsprache. Ab Sommer 2009 kamen Lehrauftrage an der Universität Wien im Bereich Film und Funk hinzu.
Er hat Sachbücher zu den Themen Philosophiegeschichte, Kulturgeschichte, Wissenschaftskritik sowie wissenschaftliche Aufsätze im Bereich DaF/DaZ und Philosophie verfasst. Besonders um das Werk von René Descartes kümmerte er sich und übersetzte die erste Descartes-Biographie von Adrien Baillet ins Deutsche. Zwei absurd-komische philosophische Romane, »Grendl« (2007) und »Gott« (2009) ergänzen sein wissenschaftliches Werk. Frank Schweizer ist verheiratet, beherrscht acht Sprachen und liest mit Vorliebe lateinische Bücher.


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