Artikel aus 2009
Sprachlernberatung
Selbstorganisiert an der Uni Wien die deutsche Sprache lernen
Zwei Jahre Projektkooperation zwischen dem Institut für Germanistik, dem Institut für Bildungswissenschaft und Campus Europae.
Von Wien aus nach Portugal, Russland, in die Türkei oder nach Serbien und umgekehrt:
Mit dem Motto »Zwei Jahre - Zwei Sprachen« hat es sich das wissenschaftlich- universitäre Austauschprogramm Campus Europae (1) zur Aufgabe gemacht, Studierendenmobilität, insbesondere durch die intensive Auseinandersetzung mit der jeweiligen Landessprache in Anbindung an das je eigene Studienfach, zu fördern.
Die Zieluniversitäten sind weit verstreut, doch das Netzwerk steht auf den festen Füßen intensivem Sprachunterrichts, sowohl vor dem eigentlichen Beginn des Studienaufenthalts (wie etwa durch individuelle Online-Sprachkurse), als auch während des Auslandsaufenthalts und danach.
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»WIEN IST ANDERS«. SPRACHLERNBERATUNG IN WIEN |
Wien sticht aus den Partneruniversitäten noch einmal heraus durch seine innovative Verbindung des Deutschkurses mit individueller Sprachlernberatung, die in erster Linie durch die Initiativen vom Institut für Deutsch als Fremdsprache durch Dr. Imke Mohr in Zusammenarbeit mit Campus Europae Wien und dem Institut für Bildungswissenschaft zustande gekommen ist.
Seit Herbst 2007 werden in face-to-face-Einheiten CE-Incomings von ausgebildeten Sprachlernberatern und Sprachlernberaterinnen durch ihren Studienaufenthalt in Wien begleitet, mit dem Ziel Ersteren zu mehr Autonomie und Selbstsicherheit im österreichischen Studienalltag, und darüber hinaus, zu verhelfen.
Selbstgesteuertes (Fremdsprachen-)Lernen wird von den Studierenden, die mit Campus Europae nach Wien kommen, bereits als anzuwendendes Werkzeug erwartet.
Dass allerdings viele aus unterschiedlichen Lernumgebungen kommen, in welchen Lernerautonomie weder gelehrt noch gefördert wurde und wird, ist augenscheinlich, wenn man sich mit den Schwierigkeiten vertraut macht, von denen die Incomings berichten, wenn sie in die Beratungseinheiten kommen.
Die Wiener Anforderungen sind vielfältig und reichen von Kontakt zu Kollegen und Kolleginnen in einer Lehrveranstaltung, über das Halten von Referaten hin zu schriftlichen Prüfungen oder dem Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten.
Der hohe Grad an erwarteter Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit hat schon manchem systemvertrauten Studierenden das Studium erschwert: Wie hart das Austauschstudierende zu treffen vermag, ist nachzuvollziehen.
Genau hier setzt die Sprachlernberatung an:
Sie ist nicht nur ein Werkzeug, das den Incomings während ihres Aufenthalts in Wien zur Verfügung gestellt wird, sondern vielmehr ein studien- begleitendes Beraten, das lange über den Campus Europae Aufenthalt hinaus durch veränderte Sichtweisen auf das je eigene Lernverhalten Wirkung zeigt.
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SPRACHLERNBERATUNG. »WHAT IS THAT EXACTLY? « |
Die Studierenden, die vermehrt zur Beratung kommen, sind solche, denen das Deutsche noch große Probleme bereitet, vor allem im universitären Kontext.
So verwundert es nicht, dass manches Beratungstreffen zur Gänze in Englisch geführt wird, und einer der ersten Fragen jene ist, was denn »Sprachlernberatung« genau sei.
In dem von Dr. Imke Mohr an der Universität Wien durchgeführten Proseminar und Seminar zur Sprachlernberatung (2) ist das nicht-direktive Beratungskonzept von Carl Rogers (3) Basis aller weiteren Erwägungen und Versuche gewesen.
Bei Rogers »wird davon ausgegangen, dass Reflexionen über den Lernprozess dazu beitragen können, dass der Lerner Kontrolle über das eigene Lernen – das Lernmanagement, die kognitiven Prozesse und den Lerninhalt – ausüben und damit seinen Lernprozess für sich effektiver gestalten kann.«
So bemüht sich der Beratende zu Beginn einer Beratung, die ein gesamtes Studienjahr freiwillig in Anspruch genommen kann, ein vertrauensvolles Klima aufzubauen. Jenes ist die Basis aller weiteren Bemühungen.
Die Treffen dauern nie länger als 50 Minuten, aber können, vor allem in der ersten Phase des Aufbaus einer Beziehung »Beratender-Beratener« wöchentlich stattfinden.
In dieser Zeit erarbeitet man gemeinsam die Lernbiographie, in der Grundsätzliches zur Motivation des Sprachenlernens und der bisher gemachten Erfahrungen gesammelt wird.
Man lotet die Ziele für die kommenden Wochen, das Semester, das Studienjahr und etwaige Pläne für das Leben nach dem Studium aus.
Zusammen eruiert man Lerngewohnheiten, Energie- und Zeitmanagement, und mögliche eingefahrene Muster, die, erst einmal als belastend entlarvt, schneller weggelassen werden können.
Als Beratender stellt man hilfreiche Werkzeuge zur Verfügung, die von Treffen zu Treffen dem Studierenden zu mehr Eigenverantwortlichkeit »verlocken« sollen.
Durch das Stecken erreichbarer Ziele, erleben die Studierenden erste Erfolge, ein meist unüberschätzbares Tonic zum Weitermachen.
Später gelingt es die Treffen zwei- bis dreiwöchig festzusetzen, um dem Studierenden die Möglichkeit zu geben einen echten Fortschritt seiner sprachlichen Fähigkeiten festzustellen.
Wie eingangs erwähnt, hat man sich in Wien vorerst auf die Form der face-to-face- Einheiten spezialisiert.
Es gibt jedoch Sprachlernberatung in mehreren organisatorischen Ausprägungen (5). Andere Formen durchzuführen steht in Planung.
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DIE ZIELE EINER SPRACHLERNBERATUNG |
Prämisse und Ziel eines erfolgreichen Sprachlernberatungsprozesses ist Autonomie, und ein Mehr an Autonomie.
Durch die Termine mit der Beraterin oder dem Berater wird es dem oder der Studierenden ermöglicht,
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»eigene Lernziele und –gegenstände zu bestimmen,
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Lernstrategien, Materialien und soziale Arbeitsformen auszuwählen,
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sich ihre Motive und Einstellungen zum Lernen bewusst zu machen,
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ihre Fortschritte zu verfolgen, ihre Ergebnisse zu evaluieren und
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dabei Motivation und Selbstwirksamkeit aufzubauen«. (6) |
Dabei muss für die Beraterseite gelten, dass jeder Lernende eine Person ist, die ihr Lernen selbst in die Hand nehmen kann.
Die beratende Seite will dem Studierenden zu mehr Handlungssicherheit verhelfen und ebenfalls zur Entwicklung der Fähigkeit sich selbst realitätsnah zu evaluieren.
Wie in vielen Bereichen mit universitärem Hintergrund heute üblich, nimmt man hierzu das Feedback- Tool für den Rückblick auf eine durchgeführte Lernberatung für sich in Anspruch.
Ein greifbares, vor allem für den Beratenen, Erfolgsmerkmal des gelungenen Prozesses ist es, den Zugang zum eigenen Lernen so beleuchtet zu haben, dass sichergestellt werden kann, dass der Beratene unter anderen Bedingungen eigenständig Veränderungen vornehmen kann, um abermals zu zufrieden stellenden Lösungen zu gelangen.
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MEINE ERFAHRUNGEN ALS SPRACHLERNBERATERIN |
Wenn ich auf meine Tätigkeit als Sprachlernberaterin blicke, bin ich jedes Mal erfüllt von Stolz, weil die Studierenden mit viel Elan wieder in ihre Heimatländer gefahren sind. Nicht nur, weil sie beim Heurigen deftig österreichisch gegessen haben, oder das Wiener Nachtleben erproben konnten: sie haben Referate gehalten, Prüfungen abgelegt, Kommilitonen kennen gelernt, und sich in einem ihnen vorher völlig unbekannten Netzwerk an Wegen und Gepflogenheiten zurechtgefunden. UND das in einer Sprache, die den Meisten zu Beginn ihres Aufenthalts völlig fremd war.
Dass ich selbst durch das Kennenlernen und die Anwendung diverser Sprachlernberatungs- Tools (7) profitiert habe, ist ein Mehrgewinn, der wichtig ist für mein eigenes Lernverhalten. Werkzeuge wie die Sprachlernbiographie, ein Lernvertrag (8), verschiedene meta- kognitive Tools wie ein Lernlogbuch, das Blitzlicht am jeweiligen Ende eines Termins, um Festzuhalten, was am wichtigsten für mich war oder was eventuell offen geblieben ist, diverse Checklisten, all das und mehr ergeben eine große Fülle an Möglichkeiten das je eigene Lernverhalten zu erkennen, zu dokumentieren und an äußere Anforderungen anzupassen.
Dass ich als Sprachlernberaterin fungiert habe als die, die in diesem Wirrwarr den roten Faden findet, oder auch mal als »Pseudo-Professorin«, der man in einer simulierten Sprechstunde sein Anliegen formuliert, hat mir in vielen Stunden das Gefühl gegeben, greifbar, einen Mangel auszugleichen:
Einen Mangel, der entsteht, wenn Universitätslehrende so volle Sprechstunden haben, dass fast keine Zeit für Studierende als Menschen geschweige denn ihre Angelegenheiten bleibt. Einen Mangel, den keine Sprachkursleiterin oder kein Sprachkursleiter begleichen kann, wenn jene versuchen vor vollen Klassen Grammatik, Landeskunde, Wortschatz und vieles Mehr zu vermitteln. Einen Mangel, den die Studierenden oft schon mitbringen, wenn sie beispielsweise aus Ländern kommen, wo traditionellerweise Frontalunterricht die Norm gibt, und Meinungsbildung oft nicht als erlernbares Element im Unterricht existiert. Einen Mangel, den sogar gewonnene Freundinnen und Freunde in Wien nicht ausgleichen können, weil ihnen die Professionalisierung fehlt.
Der Moment, in dem meine Aufgabe zur Gänze erfüllt ist, ist, meistens, leicht zu erkennen: Denn die Beratung endet, wenn der gefundene rote Faden vom Studierenden selbst gehalten werden kann.
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ANMERKUNGEN |
(1) www.campuseuropae.org
(2) »Lernberatung in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Auf dem Weg zu mehr Lernerautonomie«, Sommersemester 2007, und »Sprachlernberatung« Sommersemester 2009, Dr. Imke Mohr, Germanistische Fakultät, Universität Wien.
(3) Carl ROGERS (1985): Die nicht-direktive Beratung: Counseling and Psychotherapy. Frankfurt/Main: Fischer Verlag
(4) Zitiert nach: Karin KLEPPIN (2004): »Bei dem Lehrer kann man ja nichts lernen.« Zur Unterstützung von Motivation durch Sprachlernberatung. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online], 9(2) (= http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-09-2/beitrag/Kleppin2.htm ), S.1-16; S.1.
(5) Vgl.: KLEPPIN (2004), S.2.
(6) Vgl.: Grit MEHLHORN und Karin KLEPPIN (2006): Sprachlernberatung: Einführung in den Themenschwerpunkt. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online] 11 (2) (= http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-11-2/beitrag/MehlhornKleppin1.htm ), S.1-12; S.3f
(7) Vgl.: MEHLHORN/KLEPPIN (2006), S.4-6
(8) Zur Diskussion rund um die Positivbewertung dieser Möglichkeit siehe: Michael Langner (2006:) Dokumente zur Sprachlernberatung. Zur Vorentlastung in Sprach(lern)projekten. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online], 11 (2) (= http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-11-2/beitrag/Langner1.htm ), S.1-10; S.4-5.
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ZUR PERSON |
Barbara Elisabeth Mayer, MA, ist Theologin und Pädagogin und arbeitet als Lernberaterin seit 2007 am Projekt »Sprachlernberatung für Campus Europae«, einer Kooperation der Germanistischen Fakultät mit dem Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien.
Counselling und Erziehungsarbeit bilden, zusammen mit der Schwerpunktausbildung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, und ihrem Theologischen Studium, den wissenschaftlichen Fokus und das Herzstück ihrer Arbeit.
Sie ist Stellvertretende Vorsitzende und Geschäftsführerin von »DIDAKTIK-Verein zur Förderung von Bildungswissenschaft und Personalmanagement in Europa«.
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