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»Ein einziger, wirklich analysierter Fall eines pädagogischen Verhaltens ... hat für die Theorie der Pädagogik mehr wissenschaftlichen Wert als ein ganzes Heer statistischer Angaben über das Zusammenbestehen von Merkmalen und Reaktionsweisen.« (Richard Hönigswald 1924)
Sich dieses klar und bewusst(er) zu machen ist meines Erachtens eine wichtige Leistung jeder/s Lehrenden. Ein Seitenstrang der pädagogischen Forschung befasst sich mit »narrativer Pädagogik«. Ausgangspunkt der Forschung ist die Biographie der Lehrenden, die Selbstdarstellung ihres beruflichen/persönlichen Werdeganges. In einer solchen Selbstdarstellung versprachlicht sich Identität. Freilich ist die Perspektive eine rein subjektive, dennoch erhalte ich bei dieser Art der Selbstauslegung Auskunft über mich selbst und kann eventuell beginnen, an den mir bewusst gewordenen problematischen Aspekten meiner Person zu arbeiten. Dieses Nachdenken über sich und den eigenen Unterricht sollte wenn möglich systematisch, eventuell unter Anleitung betrieben werden. Eine gesteigerte Selbstreflexivität spielt im Prozess der Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern eine zentrale Rolle: Mein unterrichtlicher 'Output' ist nämlich nicht unbedingt nur abhängig von einer guten Vorbereitung ('input') und einem routinemäßigen Beherrschaen von bestimmten methodischen Skills oder didaktischen »Zuckerln«, auch nicht n u r von den Personkomponenten! Vieles im lebendigen System Unterricht ist nämlich nicht berechenbar nur begrenzt planbar: Wie reagiere ich in angemessener Weise auf Unvorhergesehenes, auch z.B. im Bereich der Lehrer-Schüler-Beziehungen? Wie setze ich die im jeweiligen Lernfeld tatsächlich relevanten Unterrichtsprozesse in Gang, wie steure ich sie und wie hole ich mir ein Feedback? Die Routine verschafft mir Erfahrungen, einen größeren Überblick, mehr Distanz und ermöglicht ein sicheres Entscheiden. Gründliche Reflexion von Erfahrungen intensiviert aufgrund der persönlichen Theoriebildung die zukünftige Handlungsbereitschaft und Handlungsfähigkeit. Die Vorformen der »erzählenden« (eigentlich auf selbstreflektierenden) Pädagogik sind im psychoanalytischen Gespräch, z.B. in Freuds Krankengeschichten und in der historisch-sozialwissenschaftlichen Methode der »oral history« zu suchen. Beim Erzählen von Fallgeschichten wird symbolhaft Identität gestiftet d.h. die eigene Lebensgeschichte kann rekonstruiert und in einen Sinnzusammenhang gebracht werden, - eine lebenswerte Orientierung in der Vielheit der Erfahrung, das ist denn auch Identität. Diesen narrativer Ansatz hat bereits E. Erikson bei der Erforschung der Lebensgeschichten seiner Studierenden gewählt: Beim Erzählen der Biographie wird versucht, die jeweilis einseitige Betonung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu integrieren. Zugleich stellt sich Erikson die Frage, »wohin seine Informanten von hier aus weitergehen wolten und wer ihren Weg teilen sollte«, d.h. wie sie ihre individuelle Geschichte in die Zukunft hinein weitererzählen würden. (E. ERIKSON, 1959/89)
Dass man nicht zwingend sämtliche Erfahrungen selbst machen muss, sondern auch im Zusammenhang mit erzählten Erfahrungen anderer, also eigentlich aus phantasierten Situationen, Selbsterkenntnis und Handlungswissen gewinnen kann, zeigen die Fallgeschichten einzelner, ihre Umsetzung im Rollenspiel und die Reflexion der szenischen Umsetzung, der Art und Weise, wie die eigene »Rolle« übernommen und interpretiert wurde. Denn jede sich selbst oder mit Hilfe anderer bewusst gemachte und versprachlichte Reflexion stärkt die eigene Präsenz, bringt ein Mehr an Handlungskompentenz und Bestimmtheit.
Welche Ereignisse möchten wir für die Lehramtsstudierenden der ersten Semester zum Gegenstand der Erinnerung, und damit zum pädagogischen Anlass für die Gruppe machen?
Aufgaben:
Je nach subjektiver Bedeutsamkeit wählen die Studierenden aus der erinnerten Ereignisfülle ihren Wirktlichkeitsauschnitt und machen ihn zum »Fall«:
Das genaue Hinschauen auf das, «was ist» (in der Erzählung, im Rollenspiel) klärt beispielsweise die Motivationslage zum Lehramtsstudium, manche Problematik nicht nur beim Erzähler, sondern auch beim Nachfragenden, weiters bietet es Entlastung oder sogar bisher nicht wahrgenommene Lösungsansätze und Hinweise auf alternative Handlungsstrategien.
Herbert ALTRICHTER/Peter POSCH (1990): Lehrer erforschen ihren Unterricht. Eine Einführung in die Methoden der Aktionsforschung; Bad Heillbrunn/Obb. Klinkhardt
Mag. Brigitte BÜNKER ist stv. Chefredakteurin und Fachbereichsredakteurin für den Schulbereich und die Lehrer/innenbildung in Wien.
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