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Folgender Text stellt den Versuch dar, die Geschichte der österreichischen allgemein bildenden Schule aus Selbstzeugnissen und literarisch-fiktionalen Texten von Schriftstellern unterschiedlicher historischer Epochen zu entwickeln. Der narrativ-anekdotenhafte Zugang erscheint legitim, da er zum einen die Fakten der Schulgeschichte veranschaulicht und leichter zugänglich macht, zum anderen dank des geschärften Blicks der Dichter für die Nuancen des Zwischenmenschlichen auch sogenannte „weiche Daten“ erschließt, wie Schulklimata, Erziehungsstile und Lehrerimages vergangener Zeiten.
Der am 15. Jänner 1791 als Sohn eines Wiener Advokaten geborene Franz GRILLPARZER (1791-1872) wurde dem Usus eines damaligen bürgerlichen Hauses entsprechend im Alter von acht Jahren nach Besuch der zweijährigen »Deutschen Schule« gemeinsam mit seinem Bruder von einer Reihe von Hauslehrern unterrichtet, denen die beiden Buben lieber Streiche spielten, anstatt zu lernen: Ein von den Buben inszenierter unangekündigter Morgen-Besuch muss von dem nur spärlich bekleideten Hofmeister empfangen werden (»... indes der arme Hofmeister im Hemde und mit bloßen Füßen alle Qualen der Angst und der Kälte erduldet.«) Diese Hofmeister waren meist Kriegsveteranen, ehemalige Priester oder Studenten ohne Studienabschluss: »Er kam als Theolog in unser Haus, änderte seine Meinung und studierte Medizin.
[...] Nach Jahren hatte er auch diese aufgegeben und die Rechte absolviert.« Vielen Hofmeistern fehlte nicht nur die entsprechende fachlich-methodische Ausbildung, sondern auch jede persönliche Autorität. »[...] Wenn es dem armen Teufel zu arg wurde, beschloss er endlich zu strafen. Die Strafe bestand in dem Verbote, bei Tisch von der vierten Speise zu essen.« Doch auch bei diesem Disziplinierungsversuch scheitert der Hofmeister, denn der nicht informierte Vater legt gerade darauf besonderen Wert, dass die Buben bei Tisch alles aufessen und befiehlt dem Delinquenten, auch den vierten Gang zu sich zu nehmen, was dieser nach Herzenslust tut und »triumphierend nach dem Hofmeister blickte.«
Die Aufnahmsprüfung ins öffentliche Gymnasium wird von Grillparzers Vater bei einem als Gartenliebhaber bekannten Latein-Professor mit sechs bis acht Oleanderstöcken in Kübeln erkauft; nach auf diese Weise übersprungener erster Klasse (»und ich trat nach versäumter erster in die zweite lateinische Klasse ein«) sind die Defizite im Fach Latein natürlich nie wieder aufzuholen. Dem nunmehrigen Gymnasiasten Franz Grillparzer gibt das Selbststudium in der Bibliothek des Vaters und naher Verwandter auch tatsächlich mehr als die Schule. Dort wird er nur zu den »Höchst=Mittelmäßigen« gezählt, ihm fehlen sämtliche Grundlagen, vor allem auch in »Arithmetik«, da ihm »das Rechnen schon von der deutschen Schule her fremd war.« Er engagiert sich nur soweit, »leidliche Fortgangszeugnisse« zu erhalten. Erst in der ersten Humanitätsklasse fällt er dem Professor, einem Ex-Jesuiten, auf, der die Schüler - ausnahmsweise in deutscher Sprache - eine Rede über die »Vergänglichkeit der Zeit« schreiben lässt. Grillparzer schreibt seine Ausarbeitung »in einem Zuge ohne Korrektur«. Sein Meisterwerk bringt ihm die Freundschaft eines kongenialen Mitschülers ein, der Professor möchte ihn allerdings »durch eine wunderliche Ideenverbindung« zu einem guten Geographen machen. Gemeinsam mit dem erwähnten Mitschüler schreibt der mit einem gewissen psychologischen Scharfblick ausgestattete Franz ein Lustspiel, in dem die Professoren »mit ihren bis zur Karikatur getriebenen Eigenheiten« die Rolle der unglücklichen Liebhaber spielen.
Jetzt wird auch Horaz gelesen und der intensive Lateinunterricht, den Grillparzer »nur als eine traurige Notwendigkeit« betrachtet hat, bereitet ihm zum ersten Mal Vergnügen, da er mit seinen sinngemäßen Übersetzungen und Interpretationen (»Sinn- und Sacherklärungen«)- weniger mit seinen Grammatikkenntnissen - häufig das Richtige trifft. Über die häuslichen Aufgabenstellungen, beispielsweise eine Fabel im Stile des Aesop auf Lateinisch zu schreiben, setzt er sich hinweg, indem er seine Fabel in deutschen Reimen verfasst.
Dennoch gelingt es Grillparzer, in die Universitätsstudien überzutreten (sie entsprechen der heutigen 7. und 8. Klasse). Die erhoffte »akademische Freiheit« will sich aber nicht einstellen, denn die Professoren erwarten eine »Fortsetzung der Gewohnheit des Fleißes«, weniger die Eigenständigkeit und Originalität.
Der »bis zum Abschreckenden« trockene Professor der philosophischen Philologie kommentiert jeden von den Studenten gebrauchten eigenständigen Ausdruck mit resignierendem, stummem Kopfschütteln. Der Professor für Naturgeschichte könnte zwar dank Grillparzers großen naturwissenschaftlichen Interesses dessen ungeteilte Aufmerksamkeit genießen, doch als Mitglied der Landwirtschaftskammer konzentriert er sich hauptsächlich auf die Schichten der Erdoberfläche. - Ein Lehrplan, der ein ähnlich monothematisches Vorgehen korrigieren könnte, exisitert nicht. Der Professor für Mathematik hat dafür innerhalb eines Jahres sieben Bände eines Lehrbuches abzuhandeln, trägt im Höllentempo vor und springt von einem Lehrsatz zu dem anderen, ohne dass den Studierenden eine tiefere Bedeutung der Mathematik aufgeht.
An Grillparzers Schul- und Studienzeit lassen sich gut die Grundzüge des gymnasialen Schulwesens und der Universitätsorgansiation zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigen: Der schon als 10jähriger vor allem an den Reisebeschreibungen von James Cook interessierte Franz Grillparzer (»... dass ich bald mehr in Otahaiti zu Hause war, als in unserere eigenen Wohnung«) dürfte die Dominanz des Lateinischen und Griechischen in der »Lateinischen Schule«, dem Gymnasium, durch passiven Lern-Widerstand boykottiert haben, - obwohl das Lateinische um 1800 noch die Funktion einer Art gesamteuropäischen Verkehrsprache gehabt haben dürfte. Sein Interesse für die Geographie und die Naturwissenschaft wird im Gymnasium aber nicht gefördert, die einseitige Interessenslage und vermutlich auch mangelhafte Ausbildung seiner Lehrer wirkt auf den Schüler demotivierend. Im Unterrichtsgegenstand Arithmethik fehlen ihm seinerseits sämtliche Grundlagen. Die Unterrichtssprache war in den meisten Gegenständen Latein, in den vier Grammatikalklassen unterrichtet nur ein Klassenlehrer, vermutlich aufgrund des Lehrermangels eine Schülerzahl von mehr als 50 bis 80 Schülern pro Klasse (vgl. Verordnung im »neuen Gymnasialplan« von Franz Lang 1808: »...in eine Klasse sollen nicht mehr als 80 Schüler aufgenommen werden«.) Jeder zweite von Grillparzers Lehrern war ein Ex-Jesuit. Die Universitätsausbildung der Lehrer erfolgte nur im Rahmen der philosophischen Studien, für die Realien existierte kein wissenschaftliches Lehramtsstudium! Die Kompetenzen der Schüler beschränkten sich auf Deklinieren, Konjugieren und Memorieren. Erst in den beiden Humanitätsklassen unterrichten Fachlehrer. Hier mutiert der faule und mehr als mittelmäßige Franz Grillparzer dann auch tatsächlich zu einem Schüler unter den fünf Besten. Vor allem die Literatur - freilich nur jene des Lateinischen und Griechischen, Deutsch galt als randständiger Gegenstand - interessiert ihn, doch weniger ihre formalen Aspekte. Im sinngemäßen Interpretieren leistet er weit Besseres als im Übersetzen. Die Rhetorik-Hausaufgaben modifiziert er dahingehend, dass er seine Texte, Reden, Fabeln und Abhandlungen in deutscher Sprache verfasst und damit der Dominanz des klasssich-philologischen Bildungskonzeptes seine ganz persönliche Absage erteilt. Grillparzers Universitätseintritt erfolgte vermutlich in einem Alter von 16 Jahren, also im Jahr 1807/8: Die zweijährigen philosophischen Vorstudien waren an der Universität zu absolvieren. Wenngleich Grillparzer wie sein Vater die rechtswissenschaftliche Fakultät zu inskribieren beabsichtigte, musste er jetzt einen intensiven Mathematik-Kursus absolvieren (nach dem 1808 erstellten Gymnasialplan des Piaristen Franz Lang, der allerdings 1818 wieder zurückgenommen werden sollte, hätten der Mathematik bereits im Gymnasium 33 % des Gesamtstundenvolumens zufallen sollen. Doch Grillparzer fehlen sogar die Basiskenntnisse in der Arithmetik der Grammatikalklasse und der Geometrie der Humanitätsklasse. Dementsprechend fern steht ihm natürlich die universitäre Mathematik.) Als im österreichischen - und abendländischen - Bildungskanon »junge« Wissenschaft etabliert sich die Mathematik erst 1848 als Unterrichtsfach »Mathematik und Philosophie« in den Gymnasien. (Vgl. die Exnerschen Gymnasialreform und die Einführung des Fachlehrersystems) - während sie zu Grillparzers Zeit noch in die zweijährigen philosophischen Vorstudien an der Universität integriert war. Unter dem Druck der technologischen Innovationen, der gründerzeitlichen Wirtschaft und der Konkurrenz im Ausland wird aufzuholen versucht, was bisher versäumt worden ist: Nach preußischem Vorbild (Wilhelm v.Humboldtsche Gymnasialreform 1810) wird 1848 das 8jährige Gymnasium von Franz EXNER eingerichtet und ein eigenes Ministerium für Unterricht geschaffen. Am Gymnasium unterrichten ab sofort nur Fachlehrer, für die pädagogisch-disziplinären Belange ist ein Klassenvorstand zuständig. Unterstufe wie Oberstufe haben die naturwissenschaftlichen Fächer, die Muttersprache Deutsch und eine lebende Fremdsprache integriert, der Lehrstoff ist je nach Fach zyklisch oder aufbauend. Die achte Klasse endet mit der Maturitätsprüfung, welche die Berechtigung zum Universitätsstudium darstellt.
Dem eklatenten Lehrermangel wird durch die Berufung von universitär ausgebildeten Professoren aus dem benachbarten Deutschland zu begegnen versucht, schließlich mit der Schaffung des universtiären Lehramtsstudiums (1856 Definitive Vorschrift über die Ausbildung der Lehramtskandidaten): Mit der universitären Ausbildung steigt das Prestige des österreichischen Gymnasiallehrers: Seit 1866 wird der Professor-Titel verliehen, überdurchschnittlich viele Professoren sind im kulturellen Sektor ehrenamtlich engagiert, veröffentlichen wissenschaftliche Publikationen und haben, da die wissenschaftliche Fortbildung in den Sommermonaten an der Universität erfolgt, den engen Kontakt zur Universität aufrechterhalten. Manche Professoren werden aufgrund ihrer Verdienste vom Kaiser geadelt. Das Gehalt ist wie das der Staatsbeamten relativ gering (Es entspricht der 9. Rangklasse von 11 Rangklassen der Beamtenbesoldung. Das Gehaltsgesetz von 1873 sieht ein monatliches Grundeinkommen von rd. 1000fl (Gulden) und eine Vorrückung alle 5 Jahre vor. - Zum Vergleich: ein Brenner in der Ziegelfabrik erhielt 700 fl., eine Taglöhnerin 160 fl.). 1883 werden die Professoren als »Geschenk des Staates« beamtet, sie erreichen damit das gesicherte Einkommen und die Witwen- und Pensionsvorsorge. Die später erlassene Lehrerdienstpragmatik (1917) gilt in ihren Grundzügen übrigens bis heute (vgl. Beamtendienstrechtsgesetz BDG 1979 für Bundeslehrer), obwohl manche darin zum Ausdruck kommende Werthaltungen heute obsolet erscheinen, z.B. das Prinzip der Über- und Unterordnung, des Gehorsams, die Wahrung des Standesansehens, der Diensteid, die Pflichtangelobung über den Ruhestand hinaus ...).
Vor dem Hintergrund des imperialistischen Wettrennens um Einfluss-Sphären, Ressourcen und schließlich auch Know-How präsentierte sich die Lehrplanreform von 1884 ensprechend rigid: Die Leistungsanforderungen waren äußerst hoch, die strikte Einhaltung der ministeriellen Instruktionen wurde verlangt.
Stefan ZWEIG (1881-1942), der seine Gymnasialjahre im Wien der Jahrhundertwende absolvierte, kritisiert die stark normativen Vorgaben der Schulbehörde. Das schulische Eigenleben verkümmerte, der Unterricht verlief schablonenhaft ohne Spontaneität, methodische Vielfalt und methodische Freiheit der Lehrer existierte nicht. Eine Veränderung bringt erst die Schulreform 1927 der Ersten Republik. Aus einer Annäherung von realgymnasialer Unterstufe, Realschule und Bürgerschule entsteht das Konzept der Allgemeinen Mittelschule, , das mit dem »Mittelschulgesetz« eine Angleichung von Hauptschule (ehemalige Realschule und Bürgerschule) und den realgymnasialen Unterstufen vorsieht. Damit sind auch vermehrt konkrete Übertrittsmöglichkeiten geschaffen. Der Fremdsprachenunterricht hat verbindlich in der 1. Klasse aller Schulformen zu erfolgen. Gleichzeitig finden reformpädagogische Ansätze in Unterricht und Schule erstmalige Berücksichtigung. Die Ausbildung der Mittelschullehrer sieht seit 1927 eine Pädagogische Prüfung als vollwertigen Teil der Lehramtsprüfung vor sowie ein einjähriges Probejahr nach den fachlichen Lehramtsprüfungen vor einer Prüfungskommission. Friedrich Torberg (geb. Wien 1908 - gest. Wien 1979), verarbeitet sein Schultrauma - nachdem er in Prag durch die Matura gefallen ist - in dem Roman eines tragischen Schülerselbstmordes »Der Schüler Gerber hat absolviert«. Das Manuskript des 21jährigen wird ohne dessen Wissen vom Redaktionskollegen im »Prager Tagblatt« Max Brod an den Zsolnay-Verlag übermittelt und bringt dem jungen Journalisten Torberg ersten literarischen Ruhm. Zehn Schülerselbstmorde im Winter des Jahres 1929, die dem Autor durch Zeitungsnotizen zur Kenntnis kamen, scheinen ihm die Bestätigung für die Grundaussage seines Romans: dass die Welt eben nicht auf »Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe« beruhe. Angesichts der ganz spezifischen seelischen Problemlage des intelligenten und sensiblen Maturanten Kurt Gerber versagen die Erwachsenen und Lehrer, aus ängstlicher Korrektheit und Überangepasstheit, Resignation, aus Mangel an Menschlichkeit oder aus narzisstischem Macht- und Geltungsbedürfnis, wie Kurts Gegenspieler, der Klassenvorstand Artur Kupfer. In dem intelligenten, aber widerspenstigen Kurt Gerber sieht Kupfer eine Herausforderung zum Machtkampf, der für den Lehrer eine willkommene Abwechslung im ansonsten träg dahinfließenden Schulleben darstellt. Systematisch und zielbewusst mit sämtlichen psychologischen Tricks beginnt Kupfer den Schüler Gerber zu zerstören, bis dieser an sich selbst verzweifelt. eine Kette weiterer verhängnisvoller Umstände führt zu seinem Selbstmord kurz vor Bekanntgabe des Reifeprüfungsergebnisses.
In einer fiktiven Wiener »Mittelschule«, einem Realgymnasium im 16. Wiener Gemeindebezirk, ist Torbergs Schilderung von Unterrichtspraxis und Schulleben der 20er Jahre angesiedelt. Auffallend, dass sich Burschen wie Mädchen nun ein und dieselbe Schulbank teilen, dass sich unter den Professoren jedoch noch keine weiblichen Mitglieder befinden. Die Erziehungsstile der Professoren unterscheiden sich stark voneinander. Die Türklinke zur 8. Klasse geben sich in die Hand der chaotisch-überforderte Französischlehrer, der schülerfreundliche Humanist, der machtbesessene Klassenvorstand .... . äußerst unterschiedlich auch die SchülerInnen in ihrem Leistungsvermögen - und Leistungswillen, in ihrer Bereitschaft sich anzupassen oder mit Schwächeren zu solidarisieren. Familien- und Privatleben strebt er erst gar nicht an, im sicheren Wissen als Privatperson, als Mann, keine Anerkennung zu finden: »Er wusste, dass er, sowie er aus dem Machtbereich der schule draußen war, niemandem und mit nichts imponieren konnte. Und weil er mit nichts andrem aufwarten konnte, musste er seine Persönlichkeit als gefürchteter Professor so gewaltig ausbilden, dass sie seine Persönlichkeit als Privatmensch überschattend bestimmte. nicht umgekehrt. es war nicht die Person Artur Kupfer, die sich in den Beruf des Mathematikprofessors stellt, sondern es war der Mathematikprofessor, der sich in die Person des Artur Kupfer stellte. [...]
Die große Abrechnung mit den Autoritäten, den echten wie den nur angemaßten, erfolgt in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus, dem Aufzeigen autoritärer Charakterstrukturen (vgl. Theodor W. ADORNO, Studien zum autoritären Charakter 1950) und im Aufbegehren der Schüler und Studentenschaft im Jahr 1968. Seine ganz private Abrechnung mit Schule, Erziehungsdrill und Anpassungsdruck verfasst Adorno in seiner Schrift «Tabus über dem Lehrberuf» (1965): Die autoritären Strukturen in Schule und Erziehung im Vorarlberg der späten 50er und frühen sechziger Jahre zeichnet der 1949 geborene Miochael Köhmeier in seinem Schulroman «Die Musterschüler» (1989) nach. Auf beeindruckende Weise wird das Charakterbild eines Präfekten entwickelt, der eine Gruppe von Gymnasiasten/Mittelschülern in einem geistlichen Internat zu erziehen hat. Dem zweifellos charismatisch begabten Mann, der scheinbar immer die ideale Mischung zwischen Distanz und Nähe, fordern und nachgeben, Freiheit und Zwang, Bestrafung und Belohnung, Willkür und Berechenbarkeit findet, ist die Gruppe ohnmächtig ausgeliefert: Mit Hilfe seiner psychologisch-manipulativen Fähigkeiten fordert der Präfekt unbedingte Unterwerfung und Loyalität seiner Person gegenüber ein, so dass die Jugendlichen in einen Strudel von Anpassungsdruck, Dazugehören-Wollen und übersteigertem Gemeinschaftsbewusstsein geraten, der sie zu den willenlosen Befehlsausübenden macht. Das vom Präfekten gegenüber der Gruppe ausgesprochene «Züchtiget ihn!» bezogen auf einen Zögling, der ihm persönlich Widerstand leistete, wird von den Jugendlichen auf eine derart brutale Weise vollzogen, dass sie erst Jahre später bereit sind, sich diese Tat einzugestehen und die Mechanismen aufzuarbeiten, denen sie damals unterlegen sind.
Über seinen 'Mundraub' von zwei (allerdings vom Präfekten als Köder ausgelegten) Keksen berichtet der Ich-Erzähler:
Die Schulgesetze 1962 haben den Typus der 8-klassigen Allgemeinbildenden höheren Schulen» (AHS) geschaffen, bis zur 4. SCHOG-Novelle 1971 waren noch Aufnahmsprüfungen abzulegen, die Typenbildung erfolgte in der 3. und 5. Klasse. Die Schulversuchs-Ära der 70er Jahre brachte integrierte Gesamtschulmodelle, eine Angleichung der Lehrpläne von AHS und HS sowie den Startschuss für die Lehrplanreform der 80er Jahre. Das Allgemeine Hochschulstudiengesetz von 1966 legte das Lehramtststudium als Diplomstudium fest, das mit dem Magister-Titel abschließt. Die Pädagogik-Prüfung blieb als Teil der Lehramtsprüfung erhalten.
Theodor W. ADORNO (1969): Tabus über dem Lehrberuf 1965, in: Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt/Main: suhrkamp
Mag. Brigitte BÜNKER ist stv. Chefredakteurin und Fachbereichsredakteurin für den Schulbereich und die Lehrer/innenbildung in Wien.
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