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GERHARD WAGNER |
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Die Teilnehmerinnen der Gruppe »Radioarbeit« im Rahmen des Seminars »Lehren und Lernen mit Neuen Medien im Schulunterricht« hatten die Aufgabe, bis zum Ende des Semesters eine halbstündige Radiosendung für Freak-Radio (Radio1476) fertigzustellen. Dabei haben sie nicht nur etwas über Medienarbeit in Theorie und Praxis erfahren, sondern haben sich inhaltlich auch mit dem Thema »Integration von Menschen mit Behinderungen« auseinander gesetzt.
Die von den Studentinnen gestaltete Sendung wurde am 27. Juni 2004 um 20.30 Uhr auf MW 1476 ausgestrahlt. Sie ist unter
http://1476.orf.at/radiomacher/freakradio040627.mp3
abrufbar.
Zusammen mit der Sendung wurde auch eine Transkription angefertigt, die als Dokumentation nicht nur Teil der Prüfungsarbeit war, sondern auch auf der Homepage von Freak-Radio veröffentlicht worden ist:
-> http://freak-radio.at/cgi-bin/freak.cgi?id=lh00061&p=1
reak-Radio umfasst eine Redaktion von Radiomachern mit und ohne Behinderung. In den Sendungen wird das Thema »Leben mit Behinderung« von vielen Seiten behandelt - allerdings immer aus der Sicht der Betroffenen. Die Zusammenarbeit mit Freak-Radio brachte so noch einen weiteren inhaltlichen Aspekt ein, nämlich den der Integration. Zusätzlich zu den Themen des Radiomachens und des Umgangs mit Medien im allgemeinen setzten sich die angehenden Lehrerinnen also auch mit dem Komplex »Menschen mit Behinderungen« auseinander. Dabei wurde aequivalent auf den Bereich der Medien und ebenso auf den Bereich der Schule geschaut.
So kreisten die Arbeiten um die Thematik »Integration in Schule und Medien«, um die Rolle der behinderten Menschen in den Medien, und um einen barrierefreien Zugang zu Medien auch für Menschen mit Behinderung. (etwa barrierefreies Web: »Können blinde Menschen Zeitung lesen?« oder: Easy to Read [Leichter lesen], womit auch Menschen mit Lernschwierigkeiten - veraltet: mit geistiger Behinderung - Texte lesen und erfassen können.)
Im Sinne dieser Barrierefreiheit ist auch die schriftlichen Fassung der Radiosendung im Web zu sehen: Da gehörlosen Interessierten das Medium »Radio« nicht offen steht, ergibt sich durch die schriftliche Transkription einer Homepage ein neuer Zugang zu Inhalten und Texten für gehörlose Menschen. Schriftliche Texte haben zudem den Vorteil, sehr schnell im Web zugänglich zu sein: Die Ladezeit ist bei einem Text wesentlich geringer als etwa bei einer Sendung im mp3-Format, die etwa 5,2 MB umfasst. Deshalb werden auf der Homepage von Freak-Radio auch jene Sendungen, die in schriftlicher Form vorliegen, wesentlich öfter aufgerufen - sind sie doch den Suchmaschinen auch umfassend zugänglich!
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VOR- UND NACHTEILE DER LERNPLATTFORM |
Mit diesen Überlegungen bin ich aber auch schon bei einem der Vorteile der Lernplattform: Sie bietet, vor allem dann, wenn sie barrierefrei gestaltet ist (dem sollte nach EU-Richtlinien auch entsprochen werden: vgl. eEurope 2002 Aktionsplan, »Design for all«-Ansätzen, Richtlinien der Web Accessibility Initiative [WAI-Richtlinien] für öffentliche Webangebote) weitere Zugangsformen, nicht nur für Menschen mit Behinderungen.
Anders als das Radio, das zeitlich und örtlich begrenzt ist (und noch dazu nur in Einwegkommunikation), bietet das Internet weltweit und immer den vollständigen Zugang zu allen Informationen. Vor allem bei Studien-Texten ist es äußerst praktisch und auch kostensparend, sie im Web für alle zur Verfügung zu stellen. Selbst denjenigen, die nicht zur Lehrveranstaltung kommen können oder gar nicht am Studienort sind, werden diese Inhalte, wenn sie einen Internetanschluss haben, sofort zugänglich. Wenn die Texte in Word- oder Textformat gespeichert sind, haben sie auch den Vorteil, dass blinde Menschen die Texte sofort mit ihrer Braillezeile lesen können, die sie ansonsten kompliziert einscannen oder sich vorlesen lassen müssten.
So bietet eine Lernplattform, wenn gewisse Rahmenbedingungen eingehalten werden, auch einen erweiterten Zugang für Menschen mit verschiedenen Behinderungen.
Die Gruppe »Radioarbeit« hat außer durch Links oder Downloads zu Texten oder mp3-Sendungen erst in der zweiten Hälfte des Semesters von der Plattform erweiterten Gebrauch gemacht:
Dies hängt naturgemäß mit den Nachteilen der Möglichkeiten einer Plattform zusammen:
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Schriftliche Kommunikation ist anonymer |
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Schriftliche Kommunikation ist nicht spontan |
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Schriftliche Kommunikation grenzt viele außersprachliche Mitteilungen aus, die aber in der Kommunikation wichtig sind und die auch weitere Verankerungen der Wissensverarbeitung bieten können (etwa Mimik, Gestik, Tonfall der Stimme, Blickkontakt...) |
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Schriftliche Kommunikation ist in gewissem Sinne weniger verbindlich als Präsenztermine |
Diese geringere Verbindlichkeit hat sich auch in der Online-Kommunikation im Gruppenform »Radioarbeit« deutlich gezeigt: Während in der ersten Hälfte bei den Präsenzterminen gewisse Aufgabenstellungen pünktlich eingehalten wurden, sind in der zweiten Hälfte gewisse Termine »versäumt« worden.
Das scheint mehrere Gründe zu haben. Der Druck ist in einer Präsenzveranstaltung wesentlich größer: Wer zu diesem Termin das Ergebnis nicht abgegeben hat, ist nicht nur den Blicken des LV- oder Gruppenleiters ausgesetzt, sondern auch denen der Kollegen und Kolleginnen.
Der andere Grund liegt aber im Wesen einer Plattform selbst: Da sie nicht, wie eine Lehrveranstaltung an Raum und Zeit gebunden ist, ist hier eine an Zeit gebundene Verpflichtung offenbar schwieriger durchzusetzen. Subjektiv macht es keinen großen Unterschied, wenn das Ergebnis vielleicht einige Stunden oder sogar einige Tage später geliefert wird.
Zudem sind die direkten Zugriffsmöglichkeiten für die Leiter und Koordinatoren im Netz wesentlich geringer. Einige der Teilnehmerinnen konnten glaubhaft versichern, dass sie keine Zeit hatten, im Netz nachzusehen oder dass ihr Internetzugang gestört gewesen sei.
Es ist also eine Herausforderung für die Organisatoren einer Lehrveranstaltung, wie eine größere Verbindlichkeit hergestellt werden kann. Die Verankerungen von Präsenzterminen als eine Art Gerüst zwischen den Online-Phasen hat sich hier als ein sehr zielführendes Mittel bewährt.
Denn bei allen Schwierigkeiten hat sich die Nutzung der Gruppenforen für die Zusammenfassung wöchentlicher Zwischenergebnisse dennoch bewährt:
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Die Ergebnisse mussten nicht an einem bestimmten Zeitpunkt präsentiert werden, sondern bis zu einem bestimmten Zeitpunkt -> größere Flexibilität |
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Die Zu- und Rückfahrtszeiten sind entfallen, ja es konnten sogar Termine eingehalten werden, selbst wenn die Studierenden gar nicht in Wien waren. |
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Die Plattform konnte auch für individuelle Fragestellungen genutzt werden. |
Auffallend war allerdings, dass die Studierenden untereinander lieber Mails verschickten oder telefoniert haben.
Zusammenfassend kann man also zur Arbeit in der Gruppe »Radioarbeit« sagen:
Im ersten Teil des Semesters wurde die Plattform vor allem dafür genutzt, Impulstexte zur Verfügung zu stellen, während die Hauptarbeit nicht nur in Seminartreffen, sondern auch in der Einführung in die Radioarbeit vor Ort gelegen ist.
Im zweiten Teil des Semesters, als die Studierenden selbständig an ihren Radioprojekten gearbeitet haben, ist das Gruppenforum dazu genutzt worden, um sich bis zu einem bestimmten Datum wöchentlich von den Fortschritten und Fragen bei der Arbeit zu informieren und außerdem Termine festzulegen und allenfalls weitere interessante Veranstaltungen oder Links auf die Plattform zu stellen.
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DIE VIRTUELLE DISKUSSION ZUM THEMA »BEHINDERUNG UND MEDIEN« |
Zu meiner Arbeit gehörte es auch, Literatur zum Thema »Behinderung und Medien« zur Verfügung zu stellen.Texte zu dieser Thematik wurden in der oben bereits dargestellten Form im Diskussionsforum im Plenum in der Verantwortung von zwei Studierenden präsentiert und moderiert und in der Gesamtgruppe diskutiert.
Vom didaktischen Blickwinkel her war es sehr interessant, wie die TeilnehmerInnen des Seminars an diese virtuelle Diskussion herangegangen sind:
Die jeweiligen Moderatoren machten es sich zur Aufgabe - vergleichbar etwa mit einem Referat - die Texte nochmals zusammenzufassen und dann immer wieder Impulsfragen zu stellen. Ihre Ziel war es, die Diskussion in Gang zu bringen und in Gang zu halten, und das ist auch weitgehend gelungen. Wenn etwa Teile weniger beachtet worden sind, dann kamen zu diesem Komplex manchmal weitere Impulsfragen, oder die Teilnehmer wurden zumindest darauf aufmerksam gemacht.
Auffällig war dabei, dass viele für die Erstellung der Diskussionsbeiträge relativ viel Zeit aufgewandt haben, zeitlich länger, als es etwa in einer Diskussion bei einer Präsenz-Veranstaltung möglich gewesen wäre. Auch wenn vielleicht nicht sofort Reaktionen zu den jeweiligen Statements einlangten (vgl. die Reaktion der Studentinnen weiter unten), so kam dennoch eine mitunter kontroversielle Diskussion in Gang. Der Vorteil dieser Form in der Durchführung einer Diskussion liegt u.a. darin, dass man - auch im Nachhinein - den Lernprozess während einer Diskussion sehr gut ablesen kann.
Durch die dauerhafte Dokumentation (was ja bei einer Präsenzveranstaltung kaum der Fall ist) kann von jedem auf diese Diskussionen, Meinungen, Statements später noch zurückgegriffen werden (etwa auch bei der Frage der Abschlussbeurteilung).
Es hat sich auch gezeigt, dass diese Diskussionen zu den verschiedensten Zeiten durchgeführt worden sind. Während manche an der Uni an einem der Computerdesktops diese Diskussion mitverfolgt und dort gepostet haben, gibt es auch andere, die sich am Abend offenbar viel Zeit genommen haben und zu verschiedenen Themen ihrer Kollegen oder der vorgegebenen Texte einen zum Teil auch sehr persönlichen Kommentar abgegeben haben.
Für mich war die Diskussion auf der Plattform sehr interessant. Sie hat die Auseinandersetzung mit dem Thema »Behinderung«, die ja nicht nur eine kognitive, sondern auch durchaus eine emotionelle war, auf beeindruckende Weise gefördert.
Die Moderatoren haben mit verschiedenen Möglichkeiten gearbeitet, um die Diskussion anzuregen.
Mir persönlich ist dabei jene Vorgangsweise sympathischer, die nicht etappenweise eine Frage nach der anderen an verschiedenen Tagen in die Diskussion wirft, obwohl auch das seine Vorteile hat. An sich spricht aber nichts dagegen, alle Fragen sofort zu veröffentlichen, und dann allenfalls durch Nachfragen oder provokative Textäußerungen eine Diskussion in Gang zu bringen.
Die Tatsache, dass die Texte, die ohnehin auf der Plattform zugänglich waren, nochmals zusammengefasst worden sind, hatte zwar den Vorteil, dass die Studierenden sich schneller zurecht gefunden haben, aber auch den Nachteil, dass deshalb manche Texte gar nicht gelesen worden sind.
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REAKTIONEN VON STUDENTINNEN DER GRUPPE »RADIOARBEIT« |
R.: »Die Diskussionen liefen zwar immer auf einem hohen Niveau ab, trotzdem besaßen sie meiner Ansicht nach nicht die Qualität einer gut geführten »Face-to-face« - Auseinandersetzung. Via Internet ist es viel schwieriger auf seine multiplen Diskussionspartner zu reagieren. Beschäftigt sich einer mit einem Gedankengang, schreibt der nächste - wenn überhaupt - erst ein paar Tage später zurück. Das ist lähmend.«
S.: »Die Kommunikation über die Plattform finde ich nicht schlecht. Es können mehrere Leute gleichzeitig miteinander kommunizieren. Es können kurze Stellungnahmen abgegeben werden, für die sich ein persönliches Treffen nicht auszahlen würde.
Von den Diskussionen war ich weniger begeistert. Es war eine gute Idee, aber die Durchführung gefiel mir nicht. Es war einfach viel zu unübersichtlich! Das lag sicherlich auch an der Plattform selbst, die keine anderen Möglichkeiten zuließ. Es waren aber auch viele Statements viel zu lang und dadurch wurde alles noch unübersichtlicher.«
Zu Teil 1: Martin Hämmerle zur grundlegenden Durchführung der Lehrveranstaltung
Zu Teil 2: Christian Eder über die Funktionen der Lernplattform
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ZUR PERSON |
Mag. Gerhard Wagner ist seit 1993 Chefredakteur und Herausgeber des Bildungsmagazins DIDAKTIK sowie von DIDAKTIK-Online und verantwortlich für die inhaltliche Konzeption von didaktik-on.net.
Er hat an zahlreichen bildungswissenschaftlichen, didaktischen und sozialwissenschaftlichen Projekten, unter anderem als Projektleiter, mitgearbeitet.
Gerhard Wagner war in verschiedenen Kommissionen der Universität Wien Mitglied und später zunächst als Tutor, dann von 2004 bis 2009 als Studienassistent am Institut für die schulpraktische Ausbildung tätig (seit 2005 Teil des Instituts für Bildungswissenschaft an der Universität Wien). Bis 2011 ist er für die Universität Wien Projektmitarbeiter im von der EU geförderten Projekt »Hook up!«, an dem zehn europäische Universitäten eine Sprachlernplattform für Austauschstudierende erstellen.
Seit 2011 unterrichtet er, zunächst an einer AHS in Niederösterreich, jetzt in Wien, Deutsch, Deutsch als Zweitsprache sowie Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung.
Des weiteren ist Gerhard Wagner Mitarbeiter der integrativen Redaktion von Freak-Radio und Chefredakteur von Freak-Online. In beiden Redaktionen erarbeiten Menschen mit und ohne Behinderung Informationen über behinderte Menschen.
-> http://freak-online.at
-> https://www.facebook.com/gerhard.wagner1/about?section=bio
© Didaktik, (http://didaktik-on.net) 2004
(http://didaktik-on.net/cgi-bin/didaktik.cgi?id=0000016)
Artikel: Gerhard Wagner (2004): Teil 3.Lehren und Lernen mit neuen Medien im Schulunterricht. Projektgruppe Radio
aufgerufen am: 23. 3. 2023