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Artikel aus 2002

Round-Table-Gespräch:
Angst der Schüler/Angst der Lehrer - Verantwortlichkeit der Schule?
Die Diskussion (im Wortlaut)

BRIGITTE BÜNKER & GERHARD WAGNER (HG.)


Im Juni 2002 haben sich am Institut für die schulpraktische Ausbildung der Universität Wien Expert.innen aus dem Bildungsbereich, der Psychologie und der Medien zu einem Round-Table-Gespräch getroffen. Ausgehend von der Gewalttat eines Schülers in Erfurt in Deutschland wurde über verschiedene Aspekte der Gewalt und der Gewaltprävention diskutiert, wie sie an Schulen und Universitäten zur Anwendung kommen könnten.



VORSTELLUNGSRUNDE:


Uta ROTHMAYR: Ich bin Klinische Psychologin und kenne die Schulsituation aus meiner Arbeit in einer psychologischen Praxis, ich habe mit Schülern und Studierenden zu tun. Nach den Ereignissen im Erfurt haben die Studenten gebeten, mit mir darüber sprechen zu können, was denn da passiert sei. Wir haben uns in dieser Richtung bewgt und darüber gesprochen, wie es den Studierenden selbst in der Schule gegangen ist. Kennen sie diese Gefühle der Machtlosigkeit, Wehrlosigkeit, Ohnmacht, Wut und Aggression? Können sie sich vorstellen, dass man zu so einer Tat getrieben wird, haben sie so etwas an der Schule erlebt? Zu meinem Erstaunen haben sich Studierende gemeldet, die gesagt haben, dass sie teilweise von Seiten der Lehrer, teilweise von Seiten der Schüler Situationen erlebt haben, in denen sie ohnmächtige Wut gehabt haben: Studenten haben gemeint, auf der Uni sei es noch ärger. Eine Studentin hat gemeint, sie wäre nahe daran gewesen, dem Professor die Autoreifen aufzustechen, sie habe schon alles vorbereitet gehabt. Sie fühlte sich wehrlos, hilflos, viele sehen keine Beschwerdemöglichkeit. Sie fühlen sich ausgeliefert. Sie müssen manchmal ungerechtfertigt Prüfungen wiederholen. Sie kommen in Seminare nicht hinein, verlieren ein Jahr, verlieren Geld. Viele haben gemeint, sie hätten Ähnliches erlebt wie in der Schule auch. Die Studierenden waren dankbar, solche Gefühle der Machtlosigkeit und Hilflosigkeit einmal selbst zu artikulieren und sich daran zu erinnern, wie sie sich selber einmal gefühlt haben.

Ursula MADL: AHS-Lehrerin aus der Hagenmüllergasse, Personalvertretung, Stellvertretende Vorsitzende im Fachausschuss

Hubert HUBER: Chef vom Dienst im KURIER

Brigitte SCHRÖDER: AHS-Lehrerin, Organisationsberaterin, Supervisorin, reiche Auslandserfahrung, Lehrerfortbildung und Schulversuch zur Betreuung und Integration verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler.

Rotraud PERNER: Promovierte Juristin, arbeitet als Gerichtssachverständige, Supervisorin und seit März, also vor Erfurt, mit ein paar anderen Fällen von Gewalt in der Schule betraut, die ich auch gerne zur Sprache bringen möchte, damit es nicht ein einseitiger Blickwinkel wird. Und ich möchte auch noch dazusagen, seitdem ich hier am Institut unterrichte, habe ich eine Fülle von Arbeiten und was die Gewalt beispielsweise von Hochschulprofessoren gegenüber Studentinnen nicht nur dieses Hauses betrifft, so habe ich Arbeiten, die davon sprechen. Nicht nur Willkür bei der Beurteilung, sondern auch sexuelle Erpressung, Demütigungen. Das geht bis zu Vorlesungen, in denen frauenfeindliche Äußerungen fallen. Es wird Gewalt gelehrt, soviel möchte ich dazu sagen.

Bernd HACKL: Pädagoge, mit vielen Projekten befasst, die sich mit der Professionalisierung von Lehrern auseinandersetzen.

Klaus POLLHEIMER: Stellvertretender Institutsvorstand. Die pädagogisch-praktische und die pädagogisch-wissenschaftliche Berufsvorbildung ist am gesamten Universitätsstandort uns übertragen.

Ursula KATSCHNIGG: Boltzmanninstitut für Schulentwicklung, Diplomarbeit über Lehrerängste.

Christine WILDNER: Projekt Soziales Lernen - Gewaltprävention und Teamentwicklung

KÖNNEN DIE LEHRER MIT GEWALT UND MIT IHRER EIGENEN ANGST UMGEHEN?


Brigitte BÜNKER: Zu Beginn und als Einleitung dieser Diskussion möchte das Thema ein bisschen entschärfen und von dem Sensations-Aufhänger Erfurt wegkommen und auch nicht dem ewigen Krankjammern von Schule und Lehrersein etwas hinzufügen. Sondern ich möchte auf Ergebnisse der Professionsforschung verweisen: Lehrer-Angst heißt Leben lernen mit Unsicherheiten und in der Lage sein, die verschiedenen Rollenerwartungen und Rollenansprüche auszubalancerien und dabei immer auch als »ganze Person« zu agieren.
Denn vermutlich hat es gerade mit einem Mangel an Professionalität zu tun, dass der Unsicherheitsfaktor in diesem Beruf so bestimmend ist (vgl. Studien zur Unsicherheit von Lehrerinnen in der Schweiz 1994 ff.) Das Bewusstsein, mit dem Lehrerberuf eine spezifische Profession auszuüben ist noch gar nicht entsprechend entwickelt. Vielmehr wäre es nötig, einmal abzuklären, was zu dieser Profession dazugehört: Fest steht, dass ein großes Ausmaß an Unsicherheit diese Profession bestimmt, das es auszuhalten und zu ertragen gilt.
Beispielsweise kann ich als Lehrerin im pädagogisch-erzieherischen Feld nicht wie ein Facharzt, Jurist, Techniker in logisch-kausalen Zusammenhängen planen, Ziele verfolgen und sicher sein, dass das auch herauskommt, was ich geplant habe. Der Prozess des Unterrichtens, der wechselseitige Lernprozess, das erzieherische Wirken läuft in einer vielschichtigen Art und Weise ab, die oft sehr diffus ist. Ich muss mich dabei immer wieder hinterfragen und Kehrtwendungen einbauen oder einen Haken schlagen. Jede pädagogische Intervention muss ich sofort überprüfen und kann im Grunde nie ganz sicher sein, ob sie auch die (für alle Schüler.innen) richtige gewesen ist.
Die inhaltlichen Überlegungen oder Schwerpunktsetzungen können ebenfalls permanent hinterfragt werden, ob ich jetzt ein »Lieblingsthema« zu stark akzentuiert habe oder ein anderes zuwenig genau behandelt habe; ob die Methoden zum Inhalt und zur Struktur in der Schulklasse wirklich dazugepasst haben, oder ob nicht eine andere Vermittlungsform angebracht gewesen wäre.

Ganze Lehrkörper kompensieren ihre fortwährende Verunsicherung mit einer Art »Konformitätssucht«, einem Homogenitätsdruck, der der unterschwelligen Haltung eines »Jeder gegen jeden« entgegenwirkt. Viele Lehrer.innen fühlen sich auch in den Organisationen von Ihresgleichen gut geborgen. Vielleicht resultiert auch die politisch enge Bindung vieler Lehrer und Lehrerinnen oder die Tendenz, sich auch in den anderen Organisationen zu engagieren, gerade daraus: Weil man ein unsicherer, verunsicherter (Jung-)Lehrer ist.

Um das Ganze ein bisschen literarisch aufzubereiten, habe ich daran gedacht, eine Art sprachliches Bild zu gestalten. Ich habe versucht, aus den Kontrasten herauszubekommen, was den Lehrer nun eigentlich ausmacht, wenn man an den Arzt, den Juristen etc. denkt: Einige der Eigenschaften haben Lehrer.innen natürlich auch, aber nichts davon ganz, sie haben von allem ein bisschen, und genau das macht für mich die spezielle Unsicherheit der Professionsbestimmung der Lehrer.innen aus.

Meines Erachtens müssen wir genau das den Studierenden auch sagen. Wir müssen lernen, mit diesen Unsicherheiten umzugehen und dürfen uns davon nicht verunsichern lassen:
Wir haben die Verantwortung des Arztes (im asiatischen Kulturkreis hat der Lehrer eine viel höhere Wertschätzung, hier geht es durchaus auch um geistige Gesundheit)
Wir haben die Macht des Richters, gerade am Schulschluss wird das deutlich.
Wir sollten die Kreativität des Künstlers haben, damit wir spannenden, abwechslungsreichen Unterricht bieten.
Dann haben wir aber auch die Selbstständigkeit des Unternehmers, wenn es darum geht, Inhalte/Themen für Unterrichtsstunden oder Projekte zu finden, sie gemeinsam zu entwickeln, methodisch umzusetzen und auszuwerten.

1.  Das Fachwissen des Wissenschafters ist uns an der Universität beigebracht worden. Leider wird dies heute häufig bestritten - Lehrer sollen keine Wissenschafter sein, aber das Diplomstudium ähnelt dem Lehramtsstudium glücklicherweise noch in vielem
2.  Wir verfügen über die Vermittlungsmethoden des Trainers, des Didaktikers, des didaktisch Ausgebildeten,
die pädagogischen Zielssetzungen des Erziehers und das Einfühlungs- und Einfügevermögen des Teamplayers wird überlebensnotwendig. In Schulen und unter Lehrern wird das Miteinander immer wichtiger, beispielsweise auch miteinander über diese Unsicherheiten sprechen zu können, die dieser Profession anhaften und sich Entlastung im Gespräch mit den anderen zu verschaffen.
3.  Wir haben Funktionen, beispielsweise jene des Klassenvorstandes, des Fachbereichsleiters, des Administrators, Personalvertreters oder des Betreuungslehrers - als Mitglied in gewerkschaftlichen, parteipolitischen Organisationen werden wir auch bis zu einem bestimmten Grad funktionalisiert zu Weitergebern von Machtstrukturen)...

Rotraud PERNER: Darf ich ätzen? Und es fehlt: Die Sensibilität des mitfühlenden Menschen.

Brigitte BÜNKER: Ja wir sind gerade mitten drinnen in der Diskussion!

Rotraud PERNER: Wenn man Menschlichkeit verlangt, dann kommt meist die Abwehr.

Eine wunderschöne, ja eine schöne wissenschaftliche Struktur, jeder Punkt davon kann ein Kapitel einer Habilitationsschrift sein...

Brigitte BÜNKER: Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, wie vielfältig die Ansprüche sind und wie schwer es ist, diese Ansprüche auszubalancieren für eine Lehrerin, die sich zunehmend ihrer Professionalität bewusst werden sollte. In einem Beruf, in dem der zwischenmenschliche Aspekt so stark im Vordergrund steht wie in diesem, dreht es sich immer um ein Ausbalancieren zwischen »Rolle« und »ganzer Person«.

Brigitte SCHRÖDER: Mich erfüllt diese Aufstellung auch mit Unbehagen: Lehrer müssen, denke ich, all diese Funktionen überhaupt nicht erfüllen, sondern müssen Beziehungsarbeit leisten. Beziehungsarbeit in der Klasse, im Konferenzzimmer, in der Organisation, in der sie leben; da geht es vor allem um Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit - eine zentrale Kompetenz.

Da werden Riesen-Aufgaben über die Person der Lehrerr.innen gestülpt, und dann sagen wir augenzwinkernd: »Na ja, wir wissen sowieso, dass die Lehrenden dem nicht entsprechen können!« - und damit bleibt wieder alles beim Alten.

Es gibt aber bestimmte Aspekte, die für den Lehrberuf geradezu unumgänglich sind.

Ursula MADL: Ich hingegen möchte mich von den einleitenden Worten nicht distanzieren. Ich halte es für eine sehr schöne Aufstellung der Aufgaben, die wir Lehrer.innen haben.

Ich möchte die Beziehungsarbeit - selbstverständlich ist sie auch ein ganz entscheidender Punkt! - nicht allein stehen lassen, sondern ich möchte sie mit weiteren Bereichen verbunden wissen, nämlich mit einem großen Fachwissen, nämlich mit der Verantwortung bei Entscheidungen, die wir Lehrer haben. Und die kann uns niemand abnehmen!

Wir müssen Berechtigungen erteilen, manchmal leider Berechtigungen auch absprechen. In dieser Aufgabenvielfalt, meine ich, ist für mich viel mehr drinnen als Beziehungsarbeit.

Ich bitte mich nicht misszuverstehen, Beziehungsarbeit darf nicht fehlen, aber sie kann nicht alles andere ersetzen: Sie kann Fachwissen nicht ersetzen, sie kann Kreativität nicht ersetzen!

Brigitte SCHRÖDER: Meines Erachtens fehlt bei dieser Aufzählung nur der Überbegriff...

Uta ROTHMAYR: Wir sollten in die Zukunft schauen und überlegen: Wie kann es besser werden? Ich denke, die Lehrer.innen sollten bei sich anfangen. Wenn sie es selbst nicht leben, etwa im Konferenzzimmer (und ich denke, das ist schon sehr schwer genug).

Ich habe die Angst der Schüler massiv erlebt, aus meiner Praxis könnte ich Ihnen eine Reihe von Beispiele bringen...
Ebenso massiv habe ich die Angst von Lehrern, von Studierenden erlebt, die sich fürchten, in Klassen zu gehen.

Es gibt auf der psychologisch-pädagogischen Ebene ein Manko, viele können es einfach nicht bewältigen. Auf Naturbegabungen kann ich hier nicht bauen!

Ein Punkt dabei ist ja die gesamte Pubertätsproblematik: Wenn Kinder gegen die Eltern opponieren, wenn sie schwierig werden, wenn sie Grenzen suchen, austesten oder einfach ekelhaft sind.
Diese Phänomene verlagern sich heute größtenteils in die Schule.

Ich habe 13-, 14-jährige gesehen, die in der Schule sitzen, die Haare hängen vorn über den Kopf herunter, die Füße liegen auf dem Tisch und einer ist am Fenster gestanden und hat gerufen: »Ich spring jetzt hinunter, was machen´S denn dann?«

Das ist eine ungeheure Provokation für Lehrer.innen! Die Grundproblematik liegt, denke ich, in der Familie, dort findet ja immer weniger Erziehung statt. Denn die Eltern sind ja oft nicht da. Und viele Probleme verlagern sich dann größtenteils auf die Schule und machen sich dann dort bemerkbar.

Die Schule stellt für die Schüler.innen den kontinuierlichen Faktor dar, dorthin müssen sie täglich wieder gehen. Und die Lehrer können meist gar nicht diesen Ansprüchen von Kindern und mit ihrer Pubertätsproblematik umgehen! Wie sollen sie auch diesen Ansprüchen gerecht werden?

Gerhard WAGNER: Das Phänomen des Amoklaufs in dieser Form, wie er in Erfurt passiert ist, ist ein Phänomen, das wir schon vor 20, 30 Jahren von den USA gekannt haben, aber bei uns gab es das noch nicht.

Uta ROTHMAYR: Die Frage ist: Was könnten die Gründe dafür sein, dass es diese Auswirkungen hat? Früher haben sich die Schüler selbst umgebracht, jetzt nehmen sie vor ihrem Tod noch jemanden mit. Wobei die Schüler diesbezüglich nicht die einzigen in der Gesellschaft sind...

Gerhard WAGNER: Sind es vielleicht auch gesellschaftliche Entwicklungen, die die Schule, die Familien so stark belasten?

Rotraud PERNER: Für mich ist das ganze wie ein Kreis, wie eine Torte mit Sektoren, alles wirkt zusammen. Wenn ich als fast 60-jährige Frau an meine Kindheit zurückdenke: Auch ich hatte Aggressionen, aber da hat es die Hasen im Stall getroffen oder Bäume oder irgendwelche Gegenstände.

Doch es gab bestimmte Modelle noch nicht. Ich betone es immer wieder: Die Wirkung der laufenden Bilder auf die Engramme in unseren Gehirnen wird unterschätzt! Ich weiß das aus Polizeiprotokollen, wenn Rechtsanwälte noch nicht die Aussagen umgestaltet haben.

Wenn nämllich die Frage gestellt wird, wie die Jugendlichen denn auf die Idee gekommen sind, verschiedene Grausamkeiten zu begehen, dann werden sehr oft Spiele oder Bilder als Vorbilder genannt!

Ich bitte, mich nicht misszuverstehen, es geht hier nicht um die Ursache, und ich möchte aus der psychotherapeutischen Sicht etwas ergänzen, damit Sie verstehen, was ich meine:

Jede Erfahrung, die ich mache, führt ja zu einer Engrammation im Gehirn, das geht einher mit einer Stresshormonausschüttung und je intensiver ich diese Erfahrung mache, desto fester sitzt das Modell. Dieser Prozess läuft im Unbewussten ab. Ich bin mir dessen also gar nicht bewusst.

Denken Sie an sich selbst: Wenn Sie in eine neue Situation kommen, dann verhalten Sie sich so, wie Sie es irgendwo gesehen oder gelernt haben. Wenn Sie kein Vorbild haben, dissoziieren Sie, dann sind Sie geschockt. Das heißt, es ist eine Gefahr, dass es heute so viele Vorbilder gibt!

Beispielsweise: Was tut man, um Sieger zu sein?
Früher gab es da eine Hemmschwelle, die man gelernt hat: »Hau nicht auf deine Geschwister!« oder: »Lass das!«

Die Schwierigkeit heute ist, dass man so vieles als Möglichkeit präsent hat: Kameraführungen werden beispielsweise so oft aus dem Blickwinkel des Täters - das Wohlgefühl des Täters! - oder des unbeteiligten Zusehers geführt!

Würden sie aus dem Blickwinkel des Opfers geführt, hielten wir das gar nicht aus! Und da man diesen Blickwinkel nicht aushält, führt das automatisch zu einer Identifikation mit dem Täter.
- (vgl. Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen - Kapitel IX: Die Identifizierung mit dem Angreifer.
- vgl. Arnold WIECZOREK (2003): Das so genannte Stockholm-Syndrom: Zur Psychologie eines polizeilich vielbeachteten Phänomens. In: Kriminalistik 57. S. 429 - 436)

Fühle ich mich völlig hilflos, dann stellt sich eigentlich nur die Frage: Was tue ich, um mich besser zu fühlen?

Da hilft jetzt nur noch ein Gespräch: Gibt es jemanden, der bemerkt, wie es einem geht, der sagt: Du hast aber eine Wut, dich zerreißt es ja fast! Der Umgang mit den Gefühlen ist so wichtig, den kann man aber auch technisch lernen, da braucht es nicht fünf Jahre Selbsterfahrung.

Brigitte BÜNKER: In Wien gibt es jetzt ja doch in den Berufsbildenden Schulen Sozialkompetenztrainingskurse: Da geht es darum, eine Sprache zu haben, sich artikulieren zu können, alternative Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen - anstatt zuzuschlagen oder etwas zu ruinieren.

Uta ROTHMAYR: Wenn Jugendliche nach Hause kommen, erzählen sie fast nichts, sie spielen Videospiele (»jemanden abknallen«...). Mit einer Gruppe von Burschen habe ich gesprochen,und sie gefragt wie sie zahlreiche Frustrationen immer wieder einstecken: »Wieder durchfallen und noch einmal nicht bestehen, wie ertragt ihr das eigentlich?«

Sie haben geantwortet: »Wissen Sie, wir sitzen am Abend in der Gruppe beisammen und überlegen uns, wie wir Lehrer umbringen.
Wir tun es nicht, aber diese Phantasien helfen uns, damit fertig zu werden. Wir malen uns gegenseitig aus, wie wir sie abmurksen, wie wir sie schlagen, wie sie um Gnade winseln! Und da geht es uns dann besser.« Die Schüler sehen keine Möglichkeit, anders damit umzugehen, es fehlen ihnen Modelle. Was tue ich also, wenn ich so verzweifelt bin?

Frank SKRETA: Wieso kommt es denn zu dieser Verzweiflung? Meine Schulzeit ist noch nicht so lange zurück, ich erinnere mich an sehr Vieles noch gut. Ich habe mich in der Schule nie wohlgefühlt, ich habe mich emotional nie angenommen gefühlt. Wir hatten in unserer Schulzeit einen Lehrer, der war fachlich spitzenmäßig.

Aber menschlich war er so kühl und ohne Emotion, dass er uns mit seiner Emotionslosigkeit an die Wand gespielt hat. Er hat alles strukturiert, Klassenbucheintragung, Minus eintragen und Eltern vorladen, dann kommt die Mutter, muss sich das anhören, der Schüler hat selbst keine Möglichkeit an diesem Gespräch teilzunehmen, seine Sicht der Dinge darzustellen.

Uta ROTHMAYR: Mir haben alle Schüler und Studenten gesagt, dass es im Rahmen des Gesetzes Möglichkeiten gibt, Schüler fertig zu machen, nicht nur zu disziplinieren. Lehrer.innen können das, wenn sie wollen.

Ursula MADL: Ich weiß, natürlich, dass ich Ihnen Ihre eigenen Erfahrungen - leider - nicht wegnehmen kann. Ich kenne es aus meinem Schulalltag aber auch ganz anders, es handelt sich bei uns um ein ganz normales, ganz durchschnittliches Gymnasium.

LEHRER.INNEN UND DIE VERANTWORTUNG DER ELTERN


Die meisten Gespräche finden da mit Eltern und Schülern gemeinsam statt. Es sitzen Lehrer.innen, ein Elternteil und Schüler.innen dabei. Und das ist ja mit dem Frühwarngespräch auch Gesetz geworden! Denn es bringt ja nichts, wenn ich mit dem Schüler nicht selbst gesprochen habe, und ich brauche nicht die Eltern als stille Post, sondern nur im Gespräch dabei, weil sie ja auch ihr Kind begleiten. Es kann ja nicht sein, dass ich die alleinige bin, die Hilfestellung bietet, ich muss auch auf die Hilfestellung der Eltern vertrauen können! Insofern also muss ich die Eltern mit einbinden. Ich bin sogar verpflichtet, die Erziehungsberechtigten dabei zuhaben, nämlich bis zum 18.Lebensjahr. Es gibt leider viele Eltern, die sogar einem Vierzehnjährigen einen Zettel mitschicken: Führen Sie das Gespräch mit meinen Kind alleine! Ich kann die Eltern nicht zwingen, dabei zu sein.

Oft habe ich den Eindruck, dass die Kommunikation irgendwo in der Familie unterbrochen ist. Es gab sogar recht nette Erlebnisse, weil alle anlässlich dieses Gespräches wieder einmal um einen Tisch beisammen waren und miteinander gesprochen haben.

Also sage ich jezt: Gott sei dank ist es nicht mehr so, dass ein Schüler abgeurteilt wird und die Schüler nicht mehr wissen, was an Gerüchten über sie weitergegeben wird. Solche Vorgangsweisen möchte ich für den Ausschnitt Schule, den ich kenne, zurückweisen.

Zu den Disziplinierungsmaßnahmen sage ich: ich kenne sie nicht. Was wird denn beispielsweise im Katalog des SCHUG angeboten? Die Auswahl ist ziemlich mager: Lob, dann gibt es noch die Aufforderung und dann gibt es irgendwo auch eine Disziplinarkonferenz. Ich habe in den letzten Jahren bei keiner dabei sein »dürfen« . Es ist auch davon die Rede, dass die Sanktion immer möglichst rasch dem Geschehen folgen soll. Es gibt an vielen Schulstandorten intensive Bemühungen, so etwas wie einen Disziplinarrat zu installieren, wo man will, dass sich dort Menschen zusammensetzen, die nicht über die Kinder richten, sondern etwas wie eine Schlichtungsstelle sind, die die Probleme nach Möglichkeit gemeinsam aufarbeitet. Da sollen Lehrer, Elternvertreter und - Richtung Schulgemeinschaftsausschuss - Schülervertreter drinnen sitzen.

Natürlich ist das ein schwerfälliger Apparat. Passiert irgendwo etwas, muss einen Termin gefunden werden, an dem drei Lehrer, drei Schüler, drei Elternvertreter und der Direktor (die Direktorin) Zeit haben, um sich zusammenzusetzen.

Es geschieht tatsächlich, und es hat auch schon geholfen Probleme zu lösen, aber dennoch steht für mich fest, dass man als Lehrer in manchen Situationen unglaublich allein ist. Ich habe Glück, denn ich bin Kunsterzieherin, und wir haben unsere Werkstätten im 4. Stock, weit weg vom normalen Geschehen. - Wenn ich ein im Moment unlösbares disziplinäres Problem mit einem Schüler habe, mache ich die Türe auf, bin im nächsten Saal drinnen und bitte den Kollegen, für mich kurz die Klasse zu übernehmen. Ich gehe dann einmal eine Runde und überlege, was ich diesem Schüler überhaupt sage. Denn normalerweise haben wir keine Zeit nachzudenken. Ich muss einem Schüler, der mich unglaublich provoziert, entweder in der Sekunde hinausschicken, darf ich aber nicht, denn das ist vielleicht gerade ein Schüler, auf den ich mich nicht verlassen kann: Wenn er sich etwas antut, wenn er einem anderen etwas antut oder im Zorn wegrennt, so bin ich schuld. - Ich kann daher nur jemanden anderen bitten, dass er kurz für mich die Aufsicht übernimmt, während ich in einer anderen Klasse nachdenke. Wenn ich dann nach zwei Minuten so weit bin, dass ich einen Entschluss gefasst habe, dann gehe ich wieder zurück. Aber welcher Lehrer hat diese Möglichkeit, erstens dieses Vertrauen zu den Kollegen zu haben, ohne Gesichtsverlust um Hilfe bitten zu können und wo gibt es auch die räumliche Situation, sodass in der Zwischenzeit nichts passiert?

Daher gibt es dann Situationen, die sich so aufschaukeln.

Rotraud PERNER: Glauben Sie, dass das die einzige Möglichkeit wäre? Es gibt auch andere Methoden! In meinem Buch sind viele drin, durch 30 Jahre erprobt und verfeinert.

Rotraud A. Perner(2001): Schaff dir deinen Friedensgeist.Gewalträvention im Alltag. Wien: Aaptos

Ursula MADL: Für mich ist es eben eine Möglichkeit, mir diese 30 Sekunden Auszeit zu nehmen.

Rotraud PERNER: Genau das machen wir auch in meiner Lehrveranstaltung: Wir gehen die Situation aus den verschiedenen Blickwinkeln durch und schauen, welche Möglichkeit ich habe,solch ein »Break« zu machen, damit es eben gerade nicht so läuft, wie man glaubt, dass es laufen wird. - Da sind wir wieder bei den Engrammen.

Ursula MADL: Mir hilft es, mag es auch nicht die einzige Methode sein.

Brigitte SCHRÖDER: Ich bin froh über den Beitrag von Koll. Madl, weil er doch deutlich gemacht hat, dass sich in letzten zwanzig Jahren an den Schulen viel geändert hat.

ich bin auch deshalb froh, weil ich vorher gedacht habe, jetzt sind wir wieder in einer interessanten Runde und pflegen wieder die Defizit-Kultur - und der Herr von der Presse bekommt jetzt jede Menge Material, damit viele Seiten zu füllen!

Kollegin Madl hat das ein wenig zurechtgerückt, ich möchte da anknüpfen. Ich höre hier soviel »die Lehrer.innen...« und ich bitte wirklich zu differenzieren. Ich unterrichte jetzt 23 oder 24 Jahre und ich habe noch nie Angst gehabt und mich hat Erfurt auch nicht geschockt. Ich wehre mich dagegen, das so aufzublähen, was diese Gewaltereignisse betrifft.

Aber der Umgang unserer Gesellschaft mit Gewalt, das ist ein Thema, das den Rahmen heute sprengen würde. Und ich glaube, dass wir im Moment keine besonders gewalttätige Gesellschaft sind. Wenn ich mir anschaue, wie das Verhältnis der Gesellschaft im Mittelalter zu öffentlicher Gewalt ist, Hinrichtung, Folter, da hat sich doch sehr viel geändert.
Ich möchte aber das Thema auch nicht an irgendwelchen »Highlights« aufgehängt wissen:

Mir ist die kleine, alltägliche Gewalt viel wichtiger, der wir tagtäglich ausgeliefert sind, und ich bedaure, dass wir dieser, systemisch betrachtet, erstaunlich wenig Wahrnehmung entgegenbringen.

Heute ist zufällig der internationale Tag der Flüchtlinge, und als ich hierher gefahren bin, habe ich mir überlegt, dass es nicht nur die 22 Millionen politischen Flüchtlinge sind, derer wir heute gedenken sollen. Es sind auch jene Flüchtlinge, die in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen kein Ziel mehr haben und nicht wissen, in welcher Struktur sie sich in diesen Veränderungsprozessen zurechtfinden können. - Davon ist auch die Schule betroffen. Ich habe, wenn sie so wollen, Flüchtlinge vor dem Elternhaus:

Erstens ist sowieso niemand da, zweitens vertragen sich die Eltern nicht, drittens wird ohnedies nicht miteinander geredet, oder Kinder erfahren viele Imperative: »Du musst, du sollst...!« Aber keiner fragt sie, was sie sich wünschen, wie es ihnen geht.

Die Flüchtlinge, die aus der Klasse kommen, deren Begabungen nicht erkannt werden und die resignieren, denen alles zuviel wird und die eigentlich dauernd denken: »Weg, weg, weg!«: Von diesen Flüchtlingen, die sich sozial nicht integrieren können, könnte ich jetzt eine breite Palette an Beispielen anführen.

Ich habe auch die Flüchtlinge im Lehrkörper: Lehrer.innen, die nicht gelernt haben, Selbstkompetenz zu entwickeln, die nicht gelernt haben zu kommunizieren. Diese Lehrer.innen, die in die Klasse gehen mit einem Bild, ich muss da einsame Heldin sein und alles regeln und alle Funktionen erfüllen, die man mir so aufhalst. Vielen fällt es oft schwer, aus ihrem Aktionismus herauszutreten und nachzudenken, wo sie sind, und aktiv zuzuhören, wie es dem anderen eigentlich geht! (Einfach einmal ein bisschen weg von der Fachebene.)

ANGST UND FLUCHTMECHANISMEN


Ich kenne auch die flüchtenden Direktoren, die sich von ihrem Lehrkörper zurückziehen, die flüchtenden Behörden. Ich möchte den Tag auch erklären zum Tag der vielen Flüchtenden des Alltags, denen ich begegne.

Für mich stellt sich die Frage: Wo gibt es Lösungsansätze? Und ich sehe Lösungsansätze vielerorts: Ich würde sogar dafür plädieren, dass wir hier eine Sammlung von Lösungsansätzen zustande bringen. Es ist nur interessant, wie resistent manchmal maßgebliche Menschen gegenüber Lösungsansätzen sind, selbst dort, wo sie nur niederschwellig angelegt sind und nur sehr sparsam Ressourcen verbrauchen.

Ich möchte in dieser Runde über einen nun elf Jahre laufenden Schulversuch sprechen, der in der Zwischenzeit auch von der Universität sehr positiv evaluiert wird, der aber, wie es scheint, niemanden interessiert, denn da müsste man sich offnebar exponieren:

Es ist ein Schulversuch, der an der AHS eingerichtet wurde - und zwar ausgehend von dem Gedanken, dass die Schüler an der AHS im Vergleich zu Schülern in der Pflichtschule keinerlei Betreuungseinrichtungen in Krisensituationen haben und aus diesem Gedanken heraus, was nämlich den Schülern der Chancengleichheit halber geboten werden könnte, ist dieser Schulversuch entstanden. Ein wesentlicher Impuls kam auch vom Austausch mancher Lehrerinnen, die zwar keine Angst hatten, aber die gemerkt haben, dass dieser Job viel Energie verlangt. Wenn nicht früh genug die Notbremse gezogen wird, könnte diese Energie, war die Befürchtung, bald ausgehen.

Die Lehrer.innen, die in diesem Schulversuch arbeiten, haben eine zweieinhalbjährige Spezialausbildung zur Arbeit mit verhaltensauffälligen Schüler.innen bekommen, bei der einmal im Vordergrund stand, was überhaupt »Verhaltensauffälligkeit« bedeutet, mit welcher Wahrnehmungsbrille wir überhaupt von Verhaltensauffälligkeit sprechen können. Damals waren es noch die »Verhaltensstörungen«. Ein wesentlicher Ansatz in dieser Ausbildung war die Schulung der Wahrnehmung von Lehrerinnen und die Erhöhung der kommunikativen Kompetenz von Lehrerinnen, um nur zwei Beispiele herauszunehmen. Es war eine systemische Ausbildung - und der Schulversuch wurde an fünf Wiener Schulen installiert.

In meinem Fall schaut das so aus, dass ich externe Beraterin einer Schule im 13. Bezirk bin. Für mich ist es wesentlich, dass ich externe Beraterin bin, denn das hat ganz wesentliche Auswirkungen auf meine Arbeit: Ich habe fixe Anwesenheitszeiten. Ich benütze ein Arbeitszimmer mit, das in der Schule sowieso vorhanden ist. Meine Arbeit findet im Rahmen meiner Lehrverpflichtung statt, kostet also relativ wenig an zusätzlichem Geld und es ist eine niederschwellige Einrichtung. Die Kinder an der Schule, die Eltern und die LehrerInnen an der Schule kennen mich, sie wissen, wann sie mich finden können und dass sie mich auch am Gang ansprechen können - und ich erkläre allen, dass ich ein neugieriger Mensch bin, der Interesse an Geschichten hat. Nicht jeder Mensch, der mit mir spricht, ist von vornherein jemand, der Probleme hat, sondern jemand, der meinen Bedürfnissen, meiner Neugierde nachkommt und mir Geschichten erzählt.

Darüber hinaus wissen die Schüler auch, wie sie mich erreichen, wenn ich nicht an der Schule bin und ich erlebe, wie sich Schülerinnen langsam an mich heranpirschen: Wie schaut sie denn aus, was macht sie denn so? Sie kommen manchmal auch herein, als ob sie sich verirrt hätten. Sie haben viele Möglichkeiten, den Kontakt zu suchen. Es kommen Schüler und Schülerinnen aller Altersgruppen von 10-18, es kommen Burschen, es kommen Mädchen, die das Bedürfnis haben, bestimmte Dinge anzusprechen. Manchen reicht ein kurzes Gespräch, eine Viertelstunde, 20 Minuten. Mit einigen arbeite ich kontinuierlich weiter und ich arbeite immer vernetzt mit den betroffenen Lehrerinnen, mit den Eltern, vernetzt auch mit den geschiedenen Eltern, wenn es sein muss - und ich arbeite vernetzt auch im Klassenverband.

Eine Außenseiterproblematik ist beispielsweise nur zu lösen, wenn ich mit den anderen Schülern gemeinsam an dieses Thema herangehe. Die Medien möchte ich gerne auf die Schulen hinweisen, in denen dieser Schulversuch existiert. Denn ich erlebe hier eine eigenartige Resistenz. Es ist nämlich nicht spektakulär, was ich da mache, denn da kann man nicht darüber berichtenwie viele Selbstmorde, überspitzt formuliert, man beispielsweise verhindert hat. Das ist zu wenig spektakulär.

Leider ist es auch zu wenig spektakulär für Menschen, die sich politisch einsetzen, es fehlt also diesem Schulversuch eine ehrliche Unterstützung von Eltern- und auch von Lehrerseite. Das hieße nämlich Verständnis zu entwickeln für Menschen in Krisen, das hieße ja anzunehmen, dass jeder Mensch in Krisen kommen kann, das hieße ja, sich zu engagieren für dieses Thema.

Ich höre immer wieder in diesem fünf Jahren, in denen ich im Schulversuch arbeite, in Nebensätzen irgendwo außerhalb der Schule, wie toll sie es finden, dass es den Schulversuch gibt - und wenn ich dann frage, obich das auch schriftlich haben kann, ob es die Bereitschaft gibt, auch mit Namen zu dem zu stehen, was gesagt wurde, dann erlebe ich Rückzieher.

Das ist das eine. Und das andere: Es gibt seit zwanzig Jahren in Wien das Projekt »Soziales Lernen«, das wird jedes Jahr an etwa zwanzig Schulen durchgeführt. In diesem Projekt wird Teamtraining gemacht für Lehrerinnen und Lehrer. Es wird im Team an der Selbstkompetenz und an der Teamkompetenz der Lehrer gearbeitet und erst dann wird an die Sache herangegangen. Da können die Lehrer in einem viertägigen Teambildungsseminar diesen Teambildungsprozess selbst miterleben, können Erfahrungen machen, was es heißt, miteinander zu kommunizieren - und dann arbeiten sie zwei Jahre lang in diesem Team. Das LehrerInnenteam wird von den BetreuerInnen weiterbegleitet. Sie bekommen eine Art Team-Supervision. Das halte ich für wichtig, dass Lehrer selbst einmal solche Lernfahrungen machen und mit Prozessen umzugehen lernen.

Wir sind viel zuviel auf Produkte orientiert und es fehlt der Blick auf Prozesse. Diese Erfahrungen bringen die Lehrer.innen in die Lernprozesse der Klasse ein, sowohl was den Umgang, die Gestaltung der Beziehung zu den Lehrern betrifft, als auch was neue Formen des Unterrichtens betrifft: Klassen- und fächerübergreifendes Arbeiten, bei dem immer wieder unterschiedliche soziale Kompetenzen den Schülern vermittelt wird.

Da haben wir also zwei wunderbare Projekte in Wien. Ich würde mir wünschen, dass darüber Seiten füllend in verschiedenen Publikationen berichtet wird. Geschrieben wird über die furchtbaren Dinge - die Lehrer werden immer leerer (Profil) - über diese guten Nischenprodukte schweigt man sich tot.

Gerlinde KÖRPER: Es müsste einen Mediator an allen Schulen geben: Ich musste unlängst an einer Disziplinarkonferenz teilnehmen. Es war ein ganz schreckliches Erlebnis. Der Vater durfte zwar dabei sein, um seinen Sohn zu vertreten. Aber es war so, dass beide mehr oder weniger vom ganzen Lehrerkollegium fertig gemacht wurden. Die sind beide wie die begossenen Pudel hinausgeschickt worden, während über das Schicksal des Sohnes abgestimmt wurde. Es war niemand da, der den Schüler vertreten hätte sollen. Nur die Schulsprecherin war dabei, die immer wieder gesagt hat, es müsste auch die Klasse angeschaut werden, was da drinnen los ist, und es müssten auch die Klassenlehrer angeschaut werden. Das ist jedoch immer abgewiesen worden. Übrig geblieben ist der Schüler mit der Androhung des Ausschlusses.

Der Schüler ist verurteilt worden. Die Lehrer sind überhaupt nicht in Frage gestellt worden, welche Mitwirkung sie oder Klassenkollegen bei dieser Problematik gehabt haben. Es müsste ein externer Berater oder Mediator her: Solche Vorgänge müssten von Seiten der Schulbehörde kommen. Lehrer als Mitbeteilgte haben hier »Recht« gesprochen und sich zum Richter gemacht.

Brigitte SCHRÖDER: Die Lehrer und Lehrerinnen im Schulversuch sehen sich als Unterstützung für die Schüler, sie helfen ihnen in solchen Situationen, wie sie umgehen mit dem Bedrohungspotenzial, das hier auf sie zukommt. Sie sind auch auf Wunsch der Schüler.innen, der Lehrer.innen oder auf Wunsch der Eltern bei solchen Disziplinarkonferenzen anwesend. Es ist ganz egal, woher der Antrag kommt. Ich war schon bei vielen Disziplinarkonferenzen dabei - auf Antrag der Schülerinnen - und im Vorgespräch sage ich dann noch folgendes: Was hilft dir denn noch, dass deine Position in dieser Konferenz entsprechend vertreten wird, wen brauchst du dabei noch?
Natürlich kann ich das nur an der Schule, an der der Schulversuch läuft. Dieses Modell funktioniert wunderbar. Ich wage aber auch zum Projekt »Soziales Lernen« zu behaupten, Schülerinnen und Schüler, die Soziales Lernen als Programmschwerpunkt im Unterricht gehabt haben, entwickeln einerseits mehr Selbstkompetenz und wissen zweitens auch, wie gefährlich es ist, nur durch eine Wahrnehmungsbrille zu schauen.

GEWALT - ODER STRUKTURELLE GEWALT?


Bernd HACKL: Es werden wieder einige Jahre vergehen und es wird wieder einen Amoklauf geben und es werden wieder einige Leute zusammenkommen und werden sagen, ein bisschen mehr von dem einen oder anderen, um dieses zu entschärfen oder jenes abzupolstern, aber dann wird doch alles weitergehen wie gehabt. Das ist allerdings ein Umstand, der für jemanden, der sich wissenschaftlich beschäftigt, herausfordert nachzudenken, woher das kommt, dass Menschen sich immer wieder treffen und sich überlegen, was sich ändern könnte, aber sich im Wesentlichen eigentlich nichts ändert. Um das zu verstehen, muss man immer wieder einige Tabus brechen, die sich, wie es scheint, auch in diesem Gespräch ausbreiten.

Zum ersten möchte ich meiner Vorvorrednerin ganz heftig widersprechen: Ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft ganz exorbitanter Gewalt leben, die vielleicht auf den ersten Blick nicht ganz so sichtbar ist. Ich will jetzt nicht plakativ sein, doch man braucht nur die Nachrichten anzusehen und sieht Menschen, die sich selber in die Luft sprengen, um andere mitzureißen. Das ist zwar nicht in Österreich, es würde uns nicht so unmittelbar treffen, aber wenn ich über den nächstbesten Platz gehe und mir dort drei bis fünf ausgemergelte, offensichtlich hungernde und verwahrloste Menschen begegnen, dann ist das auch Gewalt. Das hat es in meiner Kindheit nicht gegeben. Ich erlebe beispielsweise in meiner relativ kurzen Biographie viel Anstieg solcher Gewalt.

Das ist allerdings eine Gewalt, die anders ist als im Mittelalter, es ist eine heimliche Gewalt. Man kann das auch übergehen und sagen, das ist gar keine Gewalt, da stehen bloß stinkende ungewaschene Menschen herum. Was hat das mit Gewalt zu tun? Es ist eine Art heimliche Gewalt.

Der zweite Punkt, in dem man unterbrechen müsste: Die Schule ist nicht eingerichtet worden, um junge Menschen pädagogisch zu betreuen. Eine Fiktion, der wir Pädagogen nachhängen, weil es so schön ist. In Wahrheit hat der Staat die Schulen eingerichtet, weil er Untertanen braucht und die Wirtschaft tüchtige Arbeitnehmer. Der Lehrer ist zwar freundlich und nett zu mir, ich würde das nicht als Gewalt identifizieren, aber er entscheidet ja trotzdem über mein Leben, über meine Karriere. Wenn man diese Dinge tabuisiert, versteht man nicht, warum das immer wiederkehren muss, so lang wiederkehren muss, solange es diese Gewalt in der Gesellschaft gibt und solange sie notgedrungen über die Schule herangetragen wird an die Heranwachsenden. Das können wir gar nicht verhindern! Man kann nur versuchen, Lösungsperspektiven langfristig zu entwickeln - und da gibt es, meiner Beobachtung nach, drei Strategien.

Die eine ist die reaktionäre Strategie, das gibt es jene,die schreien: »Ihr habt uns die Disziplinierungsmittel genommen, wir brauchen wieder welche!«
Ich unterstelle Ihnen das jetzt zwar nicht, Sie haben aber dennoch gezeigt, dass nur die Ermahnung und Rüge vor der Klasse gebe, und dies seien Maßnahmen, über die die Schüler nicht einmal mehr lachen. Sonst gebe es eigentlich nichts mehr. Man darf keine mehr »runterhauen«, man darf einen Schüler nicht mehr einsperren... Wir sind noch eingesperrt worden, ich habe beispielsweise noch zwei Einsperrformen genossen, das eine war die einfache Schulhaft, das andere der verschärfte Karzer, der ist dann im Schülerstammdatenblatt eingetragen worden. Das gibt es heute alles nicht mehr. Subtilere Formen gibt es schon: Die reaktionäre Variante fordert wieder Disziplinierungsmittel ein.

Die zweite sehe ich darin, ich hoffe diese Position provoziert auch, dass man halt da und dort Abdämpfungsmaßnahmen eingerichtet hat, das Frühwarngespräch, wie Sie es genannt haben. Doch man muss sich im Klaren sein, das Problem ist damit nicht aus der Welt geschafft, man dämpft es damit nur ab.

Die dritte Variante ist es, dass man versucht, strukturelle Gewalt abzubauen, nur das ist so locker hingesagt, wie tut man da, in einer Welt der Gewalt Raum schaffen, dass man strukturelle Gewalt abschafft. Auch an der Universität gibt es Gewalt. Ich bin ein besonderes Subjekt struktureller Gewalt, denn ich bin Institutsvorstand!

Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jemand bin, der gerne Leute unterdrückt, aber natürlich bewege ich mich auf einer strukturellen Schiene, die mich zum Subjekt struktureller Gewalt macht. Bei Lehrern ist es auch so, sie werden sozusagen unschuldig schuldig, man kann gar nicht anders, wenn man Lehrer ist, ist man einfach in der Struktur drinnen. Es ist sehr schwer, das abzubiegen.
Diese Dinge muss man ansprechen, sonst kommt es immer zu problematischen Zuschreibungen: Viele Leute von der Presse schreiben: Die »depperten« Lehrer, die sind nicht ausgebildet - und die Uni ist zu dumm, die Lehrer auszubilden - und die Kinder konsumieren immer diese Gewaltfilme, dann ist die Filmindustrie die Schuldige.

Es mag ja auch was Wahres daran sein, dass jeder von uns ein Schäuferl dazulegt, das will ich nicht bestreiten, nur würde es am gesamten System nichts ändern, das eine oder andere »Schäuferl« aus dem Verkehr zu ziehen.

Frei nach dem Beispiel: »Bringt´s den Diktator um!« Das würde nichts ändern, denn es lässt sich nur die gesamte Diktatur beseitigen. Aber das sind langfristige Unternehmungen. Im Grunde wird die Schule nicht gewaltfreier werden, solange die Gesellschaft nicht gewaltfreier wird.

Hubert HUBER: Was ist denn die Alternative zur Gewalt? Denn das Schlagwort »strukturelle Gewalt« ist ja auch sehr plakativ, da kann man alles hineininterpretieren. Ein wirklich lückenlos gewaltfreies Leben ist eine Utopie oder Illusion!

Bernd HACKL: Erstens gibt es schon einen Grund dafür, warum es in der Sprache zwei Worte gibt für gewaltig und gewalttätig und zweitens ist es die Frage, wie der Gewaltbegriff angelegt wird.

Wenn ich daran interessiert bin, gesellschaftliche Gewalt zu verschleiern, dann definiere ich den Begriff so, dass alles mögliche darunter fällt. Dann kann ich sagen, das kann man ohnehin nicht abschaffen. Ich kann den Gewaltbegriff aber auch so anlegen, dass ich ihn ganz spezifisch als Gewalt von Menschen an Menschen als Ausbeutung von Menschen durch Menschen anlege.

Es ist natürlich so eine Art sozialwissenschaftliches Planspiel, das man durchgehen müsste: Wie definiert man Gewalt, was versteht man darunter, welche Wirkungszusammenhänge gilt es da zu erfassen? Dann kommt man zur strukturellen Gewalt...

Hubert HUBER: Ich kenne viele Lehrer, und es geschehen auch Ungerechtigkeiten, aber Herrschaftsansprüche der Lehrer über die Schüler sehe ich eigentlich nicht. Ich habe eher oft das Gefühl, dass die Schüler die Lehrer beherrschen.

Bernd HACKL: Da muss man aufpassen, dass man keine Missverständnisse produziert. Dass es Lehrer gibt, die Schüler absichtlich karnifeln, das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die Schule eine Gewalteinrichtung ist, eine Gewalteinrichtung des Staates zur Erzielung bestimmter Ergebnisse.

Hubert HUBER: Wenn ich von vornherein hinter jeder Struktur Gewaltausübung verstehe, dann kann ich es schon so interpretieren.

Bernd HACKL: In der Wissenschaft legt man Begriffe nicht so an, dass man sagt: Ich sehe was oder ich spüre was, sondern man rekonstruiert in langen Prozessen bestimmte Phänomene und Kausalzusammenhänge. Wenn ich sage, die Schule ist eine Gewalteinrichtung, dann sage ich, dass man sehr genau analysieren kann, auch historisch, wie die Schule eingerichtet wurde, zu welchem Zweck.

Hubert HUBER: Heutzutage werden Autoritäten oft mit Gewaltausübung gleichgesetzt, vielleicht ein Grund für viele Spannungen?

Bernd HACKL: Es geht nicht darum, dass der Lehrer jetzt eine Schüler karnifelt. Es geht darum, dass er ein Exponent staatlicher Gewalt und einer Gewaltstruktur ist. Da kann er der freundlichste und progressivste Lehrer sein, er wird rausgeworfen, wenn er das nicht exekutiert, was sein gesetzlicher Auftrag ist. Er muss Noten geben, er muss Leute ausselektieren und Kinder anpassen. Wenn er das nicht tut, wird er aus dem Schuldienst entlassen, da kann er noch so freundlich sein. Ich war selbst Lehrer, das können liebe nette Menschen sein, das ist nicht das Problem, sie müssen den Auftrag staatliche Gewaltanwendung zu exekutieren erfüllen, sonst fliegen sie.

Gerhard WAGNER: Aber gibt es nur diese zwei Extrempositionen? Hier also etwa der eine Lehrer, der Universitätsprofessor, der ein Monopol auf eine Lehrveranstaltung hat und dessen Durchfallsquoten über 50 % sind, der aber, im wissenschaftlichen Diskurs, solch ein System der »strukturellen Gewalt« als Unrecht anprangert - und dort die AHS-Lehrerin, die um jeden Schüler ringt: Gibt es da nichts, was in der Mitte ist?

Wir haben ein System der Gewalt, das mag sein, aber die Frage ist: Wie gehen wir jeweils selbst mit Gewalt um, die uns die Strukturen bieten?

Die zweite Frage wäre die: Wir sind ja nicht nur in einer Institution, in einer Hierarchie, wir haben ja auch menschliche Verpflichtungen. Und ich denke, die Institution und die Hierarchie werden oft als Ausrede benutzt für Dinge, die einfach nicht stimmen. Wir haben, wie bereits erwähnt, viele Tortensegmente: Sollte man sich da nicht ganz genau anschauen, welches Phänomen für welchen Bereich steht und was veränderbar ist und dann danach die Tortenform verändern?

Uta ROTHMAYR: In dieser Struktur ist Missbrauch prinzipiell möglich. Wo Machtstrukturen existieren, ist Missbrauch möglich.

Bernd HACKL: In jeder Struktur.

Hubert HUBER: Jede Struktur hat eine Gewaltkomponente, weil sie Zwänge verursacht.

Rotraud PERNER: Macht heißt jedoch nicht von vornherein Machtmissbrauch!

Hubert HUBER: Schauen Sie sich das amerikanische Schulsystem an, das auf Offenheit ausgerichtet ist, wo die Schulen sehr kundenorientiert sind.

Bernd HACKL: Das ist ja auch nicht frei, das ist ja kein Rückgang von Macht. Nur eine Form von anderer Formulierung von Macht.

Hubert HUBER: Aber die machtfreie Gesellschaft gibt es nicht!

DIE ROLLE DER LEHRENDEN ZWISCHEN PRIVATEM COACH UND STAATLICHER PRÜFUNGSINSTANZ


Frank SKRETA: Oft findet die Position des Schülers keine Anerkennung. Er hat eine Idee und versucht sie in die Erwachsenenposition oder in die Welt des Lehrers einzubringen -und der Lehrer sagt: »Das gehört jetzt nicht zum Thema, lass uns im Lehrstoff weitergehen.«

Es steckt Erfahrung und Emotion dahinter. Der Schüler wird nicht an den Lehrer herangelassen, denn dieser hat jetzt etwas anderes zu tun. Notwendig wäre aber, diese emotionalen Ebene wieder herzustellen, etwa nach dem Motto: Ich bin okay. Und ihr seid okay!
Für Schüler kann es manchmal wichtig sein, dass sie den Privatbereich des Lehrers, vielleicht sogar dessen Familie sehen: Diese Sicht auf den privaten Menschen kann für manche
Schüler ein »Aha-Erlebnis« darstellen - in folgendem Sinne: Aha, mein Lehrer ist auch ein Mensch und kann mit mir reden.

Durch Reden und auch den emotionalen Zugang kann vieles erföffnet werden: Forschungen im Werbe- und Verkaufsbereich haben ergeben, dass 80% der Kaufsentsecheidung aus der Emotion getroffen wird - mit 20% Sachinformation geben sich nur wenige zufrieden.

Ursula MADL (zu Brigitte Schröder): Was Sie vorhin von Ihrem Schulversuch erzählt haben, da steckt so viel drinnen, was ich eigentlich gern im Alltag erleben möchte!

Denn es sollte nicht nur um die Integration von vielen verhaltensauffälligen Schülern gehen, sondern auch um den schulischen Alltag selbst!

Insofern bin ich bei Ihnen, als mir auch kein besseres Gedankenmodell einfällt als eine Schule, die ihren Kindern Bildung und Erziehung mitgibt.
Wahrscheinlich bedarf es da noch mehrerer Puffer. Beispielsweise bringt ein Frühwarngesrpäch für für mich eine Form, wie ein »Gummiringerl«, das wir so oft verwenden, bis wir so weit gekomen sind, dass wir es alle ganz gut aushalten.

Es gibt viele Lehrer, die so gerne der Coach ihrer Schüler sein wollen, die sie begleiten und den ganzen Weg mitgehen wollen. Da sage ich allerdings: Das ist unvereinbar, das bestätigen mir auch die Psychologen: Wenn ich Coach bin, bin ich Coach, wenn ich Begleiter bin, bin ich Begleiter und Fürspecher. Doch wenn ich Lehrer bin und in meiner Funktion als Lehrer Berechtigungen erteile und Prüfungen abnehme, so muss ich das wieder abkoppeln, sonst verliere ich den Schüler. Wenn ich dem Schüler eine Nähe gebe, so ist es unheimlich brutal, wenn ich ihm sagen muss, jetzt hat´s leider einfach nicht gereicht. Dieses Coachen muss meines Erachtens an jemanden abgegeben werden, der nicht in bestimmten Situationen ständig das Leiberl wechseln muss.

Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn ich etwa bei 10- bis 14-Jährigen beide Rollen übernehmen müsste. Ältere Schüler können diese Positionen vielleicht schon auseinander halten. Deshalb würde ich es mir für das Regelschulwesen wünschen, dass Kinder, die, weil sie zuhause eine spürbare Begleitung nicht bekommen, wenigstens in der Schule jemanden haben, zu dem sie gehen können und zu dem sie das Vertrauen aufbauen können.

Derartige Fachleute zur Seite haben zu können, wäre sicher ein Gewinn: In meiner Schule hat viel davon die Schulärztin übernommen. So einen Glücksfall gibt es nicht oft. Natürlich sind das nur Puffer, aber mir ist es lieber, ein Gummiringerl mehr einzuschalten als zu sagen: »Ja leider, so ist es, aber da kann man halt nichts machen...!«

Uta ROTHMAYR: Diese Teilung der Funktionen des Lehrers in Trainer und Prüfer würde ich sehr begrüßen! Und es wird ja auch schon gemacht. Im Lycee beispielsweise, auch in Fahrschulen oder Pflegeschulen: Dort gibt es eine absolute Trennung zwischen Lehren und Prüfen.

Ich selbst unterrichte in Schwesternschulen, doch geprüft wird dort immer extern. Wenn dann alle ein »Sehr gut« haben, kommen die Schüler.innen zu mir und bedanken sich überschwänglich. Ich bin dann ihr Coach: Wir wollen gemeinsam dieses Ziel erreichen, wir wollen, dass alle durchkommen, für die Prüfung ist dann jemand anderer zuständig.

Es wäre so viel Dampf draußen in der Beziehung zwischen Schüler und Lehrern, wenn man dieses System trennen könnte! Was außerdem bedeutsam wäre: Die Ergebnisse wären vergleichbar. Wenn ich vergleichbare Inhalte hätte, die von außen kommen, dann erlaubt dies auch Rückschlüsse auf die Ausbildung!

Heute sind die Unterschiede zu groß: Es gibt Schüler, die von Musik überhaupt keine Ahnung haben, die alle acht Schuljahre hindurch nur Videos sehen - und es gibt Schüler, die schon in der zweiten Klasse Nachhilfe in Musik brauchen, da sie schon etwas über Quarten und Terzen lernen. Kernstoff zur Prüfung - externe Prüfung!

Bernd HACKL: Damit würde ad hoc widersprochen und strukturell natürlich zugestimmt! Das ist der Widerspruch, den sie mit Ihrer ganzen Person dann auflösen müssen. Nur, sie sind dem ganzen Vehikel ja wieder aufgesessen, denn sie haben die Logik nicht außer Kraft gesetzt. Ich kann diese beiden Personen trennen. Einer unterrichtet, einer prüft. Der Unterrichtende hätte nicht das Problem, zugleich der Prüfende zu sein, was ja seine Funktion torpediert.
Aber die Frage ist ja, ob dadurch die Logik, auf ein ganz bestimmtes vordefiniertes Ziel hinzuarbeiten, außer Kraft gesetzt worden ist. Das ist dann so wie in der Fahrschule, denn da gibt es ja keine Bildungsprozesse, keine Entfaltungsprozesse von Individuen, sondern da geht´s darum, wo ist der Lehrstoff zu finden ist, meistens »im Büchl, das wir können müssen, da fliegen immer 30% durch, also tun wir was«! Das ist nur mehr die blanke Trainingslogik auf ein vordefiniertes und unhinterfragbares Ziel!

Da sind mir Ideen sympathischer, wie beispielsweise im dänischen Schulsystem, wo es bis zum 15. Lebensjahr keine Note gibt, da gibt es den Widerspruch in der Form nicht.

Frank SKRETA: Aber was ist das Problem, sich auf ein Ziel zu fokussieren und darauf hinzuarbeiten?

Bernd HACKL: Das ist gar kein Problem. Wenn es mein Ziel ist, ist es gar kein Problem, aber wenn es ein Ziel ist, das jemand anderer vorgibt, dann habe ich ein großes Problem!

Ich kann nicht lernen, wenn ich nicht selber die Motivation habe. Das geht nicht, da müsste ich ja eine Maschine eingebaut haben, die ich auf- und abdrehen kann.

Bevor Kinder in die Schule kommen lernen sie unendlich viel. Sie sind in keinem Raum zwagsweise gesessen, haben keine Note bekommen, haben ihre Ziele verfolgt, haben aber viele Sachen gelernt, die sie später in der Schule brauchen. Darum funktioniert das dänische System auch.
Das sind ja nicht lauter Idioten, die Dänen, sie lernen in jener Zeit, in denen man ihnen nicht vorschreibt, was sie lernen sollen, natürlich auch etwas. Sie verfolgen ihre eigenen Ziele. Es lernen vielleicht die einen mehr, die andere weniger - aber sie sind nicht fremdbestimmt!

Das französische Schulsystem beispielsweise, das ist ja verräterisch: Bei den Maturaprüfungen etwa ist von der Struktur her das Unlogische zwar weg, aber es ist ein perverses System.

Uta ROTHMAYR: Aber sehr viel an Konfliktstoff, der Gewalt auslösen kann und der aus dem Rollendilemma des Lehrers resultiert, ist weg (Trainer - Freund - Prüfer).

Bernd HACKL: Das ist richtig, der ist weg! Es ist ein intelligenteres System der Repression.

Brigitte BÜNKER: Ähnlich ist es auch in Schweden mit den standardisierten Tests: Dort wird nur noch auf die Testanforderungen hingearbeteitet, es bleibt kein Raum mehr für die spezifische Interessenslage der Klassen - und auf individuelle Bedürfnisse kann nicht mehr eingegangen werden.

Bernd HACKL: Schüler die ihre Ziele verfolgen, lernen sehr viel.

GEWALT IN DER SCHULE - DIE ROLLE DER MEDIEN


Gerhard WAGNER: Halbzeit: Ich möchte Herrn Huber, den Chef vom Dienst vom Kurier bitten, etwas zur Sicht der Medien über Gewalt und Angst an der Schule darzustellen.

Als Aufhänger habe ich drei Hefte von »News« mitgebracht: »Der Killer von Erfurt«. »Warum Schüler töten? Gewalt aus Videospielen.« »So leicht kommt man zu Waffen.« Weiters eine Woche später: »Lehrer in Angst nach dem Amoklauf in Erfurt.« »Gewalt an Österreichs Schuen: 75 % der Lehrer klagen über Gewalt.«

Als Titelbild ein junges Model auf Lehrerin getrimmt - so stellt sich NEWS offenbar eine Lehrerin vor: Langer dunkler Rock, helle Bluse, natürlich eine Brille und Knoten im Haar.

Zwischenruf: Gewalt und Sex

Frank Skreta: Was nicht heißen soll, dass es keine hübschen Lehrerinnen geben soll.

Gerhard WAGNER: Relativ aktuell vom 10.Juni ist das »Profil«: »Wozu noch Matura? Psychoterror Reifeprüfung.« In diesem Fall einer nicht stereotypen Darstellung - ziemlich provokant die Darstellung.
Lehrer beklagen sich immer über die Medien. Ich unterstelle einmal, dass sich die Medien gerne des »Täter-Opfer-Prinzips« bedienen. Ist das nicht in besonderer Weise zwischen Lehrern und Medien gegeben, die beide gegenseitig beim anderen die Täterrolle sehen?

Jedenfalls beklagen sich die Lehrer oft darüber, dass sie Medien als »Täter« darstellen und fühlen sich dabei als Opfer der Journalisten.

Hubert HUBER: Aus zahlreichen persönlichen Rückmeldungen muss ich sagen, dass ich wenige Berufsgruppen kenne, die so sehr über die Medien klagen wie die Lehrer. Ich kann das auch in vielerlei Hinsicht verstehen: Ich muss das vorausschicken, obwohl selbst ich ein Vertreter der Medien bin und in einer Zeitung arbeite.

Ich habe ein sehr gespaltenes Verhältnis zur Mediokratie, um es etwas drastischer zu formulieren. Aus dem Wesen der Massenmedien heutzutage - es ist mit ein Grund, warum viele Problem so erscheinen, wie sie heute sind: Denn in den vergangenen Jahrzehnten hat sich gerade der Medienbereich extrem verändert.

Die Nachrichtentechniken sind viel schneller geworden, die Medienpräsenz ist viel intensiver geworden.
Was etwa Ihren Schulversuch betrifft, so bin ich überzeugt, dass schon einiges darüber geschrieben worden ist, nur findet man es überhaupt nicht mehr in der Fülle von Print-Medien.

Brigitte SCHRÖDER: Im Standard - es gibt hier viele Leute, die lesen und sammeln, aber vielleicht finden Sie etwas im Archiv, ich wär dankbar dafür.

Martin HÄMMERLE: Ich bin sehr froh, dass wir das Thema nicht so plakativ aufgerollt haben, wie es von diesen Schlagzeilen gemacht worden ist, sondern dass wir differenzierter herangegangen sind.

Vorwürfe an die Medien habe ich herausgehört. »Bad news are good news, good news are bad news.« Oder: »Good news don´t sell«.

Brigitte SCHRÖDER: Ja, das ist so!

Hubert HUBER: Ja das ist so, wie auch die Medien gegen Vorurteile zu kämpfen haben, so ist es eines der Vorurteile zu sagen. »Good news are no news, bad news are good news«: Nur diese seien leicht zu verkaufen. Das stimmt einfach nicht!

Das Problem ist nur, dass man an die guten Geschichten viel schwieriger herankommt. Die Leute reden nicht darüber. Ich als Journalist weiß also vieles schlichtweg nicht. Von den »bösen« Sachen bekomme ich die Polizeiberichte automatisch zugeschickt.

Auch das ist ein Problem der Strukturen, die wir haben, dass das Böse und das Gewalttätige viel leichter verbreitet wird als das Gute und Positive. Das Gute wird in vieler Hinsicht ja als das Normale angesehen - und es ist nicht unbedingt im Sinn der Medien, über das Normale zu berichten - zumindest nicht der Tageszeitungen und der aktuellen Medien...

Rotraud PERNER: Wir müssen eine Strategie finden, wie man aus dem Postitiven »eine Gschicht« macht.

Hubert HUBER: Vielmehr müssen wir eine Strategie finden, wie man das Gute überhaupt herausfindet! Man versucht es ohnedies. Aber was generell im breiten Strom der Tagesberichterstattung läuft, das sind Negativmedlungen. Ja, Geldtascherlfunde: »der ehrliche Finder«, die beispioelsweise auch über die Polizeitdienststellen laufen oder eine Lebensrettung wird berichtet, weil sie über die Rettungseinsätze laufen.

DEMOKRATIE UND GEWALT AN DER SCHULE


Brigitte SCHÖDER: Ich nehme nochmals Bezug zu Ihnen, Herr Dr. Hackl: Sie haben gesagt, Schule habe die Aufgabe - wenn man zurückdenkt an Zeiten Maria Theresias - »Untertanen« herauszubilden. Und diese Aufgabe, sagen Sie, haben Bildunsgeinrichtungen nach wie vor, da stimme ich mit Ihnen überein, was die Erziehung zu guten Staatsbürgern betrifft.

Im Unterschied zu Ihnen aber gehe ich davon aus, dass wir heute nicht mehr in einem absolutistischen, sondern in einem demokratischen Staat leben!

Es wir auch immer wieder bezweifelt, aber ich halte daran fest, dass es ein demokratischer Staat ist und dass in diesem demokratschen Staat die Schule die Aufgabe hat, mündige Bürger zu erziehen - und das ist neuerdings auch in den Lehrplänen festgeschrieben, indem es das heißt, dass Schüler »dynamische Fähigkeiten« erwerben sollen. In anderen Lehrplänen heißt es »Schlüsselkompetenz«. Im Prinzip geht es immer darum, dass Schüler.innen Kommunikationskompetenzen entwickeln, etwa Soialkompetenz, Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit, Konfliktfähigkeit usw.

Wenn wir das als Lehrer.innen ernst nehmen und ich gehe davon aus, dass Schulen in diesem demokratischen System lernende Oganisationen sind: Ganz egal, wie veränderungsresistent sie sich verhalten, sie sind »lernenden Organisationen«. Denn es ist auch ein Schwerpunkt unserer Arbeit als Lehrer.innen, Schüler.innen zu demokratischen Werten heranzubilden, an denen sie sich beteiligen, die sie selbst erfahren können...

Beispielsweise fragen wir uns, wie ich mich etwa in einen Beteiligungsprozess einbringen kann, oder wie ich schauen kann, dass auch ich, die Lehrerin, nicht untergehe.
Weiter möchte ich das nicht ausführen, sondern zur Kollegin Madl Stellung nehmen...

Bernd HACKL (ad hoc): Wo war die vierte Variante? Das hab ich nicht verstanden.

Brigitte SCHRÖDER: Die vierte Variante war, dass es einen Unterschied gibt zwischen gewaltsamen Durchsetzen von Lehrzielen im Sinne von absolutistischen Denkweisen (der Untertan, der sich unterwirft oder der das System kritiklos hinnimmt) oder im Erziehen zu einem demokratischen Menschen. Das ist für mich der Ansatz einer Schule auch als lernender Organisation.

Kollegin Madl hat darauf hingewiesen, dass es in den Schulen verschiedene Möglichkeiten gibt, auf durchaus demokratische Weise Entscheidungen zu finden, Entscheidungen, die nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen worden sind. Es ist egal, ob das jetzt um Schüler.innen geht oder um Formen der Lehrerbeurteilung. Ich erinnere mich, wie ich noch in den ersten habe um meine Dienstbeurteilung Jahren gezittert und irgendwann durfte Einsicht nehmen und konnte dann mit meinem Direktor auch über seine Beurteilungskriterien diskutieren.

In dieserlernenden Organisation arbeiten auch viele Lehrer.innen an sich, bilden sich weiter und professionaliseren sich - und darin sehe ich auch Lehrer, die keineswegs entweder Coach oder Sozialarbeiter oder eben Lehrer sind, sondern ich sehe dann Lehrer.innen, die in der Lage sind, Lernprozesse zu begleiten.

Beim Begleiten von Lernprozessen können sie, gemeinsam mit den Lernenden, durchaus auch Reflexionsphasen einlegen. Weiters sind sie in der Lage, mit ihren Schüler.innen eine Feedback-Kultur zu erarbeiten und die ganz klar offenlegen, dass sie nicht Lernhelfer.innen, oder Input-Geber.innen sind, sondern dass sie auch Beurteilende sind. Aber nicht Beurteilende, die zum Schluss irgendein Produkt nach dem Friss-Vogel-oder-Stirb-Prinzip beurteilen, sondern in dieser Prozessbeurteilung diese Zwischenstufen dem Schüler immer wieder rückmelden, was individuell gut gemacht wurde, und das genau aufzeigen, vielleicht auch gemeinsam mit anderen Lehrern. Und: Ich lege am Anfang des Schuljahres meine Beurteilungskriterien offen, das war auch eine Vorgabe der Landesschulinspektoren in diesem Schuljahr.

Da haben die Schulen gerungen, gestritten und gekämpft um die Offenlegung dieser Beurteilungskriterien. Da ist ein Prozess, die in Gang gesetzt worden ist und der noch keinesfalls abgeschlossen ist. Ich bin beispielsweise auch Deutschlehrerin, ich sage meine Schülern ganz genau, in welchem Prozentsatz schriftliche Arbeiten, ob Schularbeiten, ob termingerecht gebrachte Hausübungen oder anderes in die Beurteilung einfließen. Demokratische Schule heißt auch, mit dem Thema Macht umgehen zu können.

Macht heißt nicht nur, unter ihr leiden zu müssen, sondern es bedeutet auch, sich Macht zu nehmen. Wenn ich nicht lerne, mir Macht zu nehmen, werde ich ewig unter der Macht leiden, die ein anderer über mich ausübt. Da spielt die Frage der Beurteilung oder der Leistungsbeschreibung eine Rolle - das Wort Beurteilung mag ich gar nicht (es geht mir um diesen Prozess, der dem Schüler nachvollziehbar ist).

Was ein professioneller Lehrer sicherlich nicht macht, das ist, die Grenzen verschwimmen zu lassen. Ich hab schon verschiedenen Aufgaben, ich sage ganz klar, ich bin auch Lehrerin, die letztlich die Verantwortung dafür trägt, dass die Lernziele erreicht werden, so wie sie im Lehrplan als Kern- oder als Erweiterungsbereich definiert sind. Ich bin außerdem Lehrerin, die zur Einhaltung gewissen Regeln in der Schule verpflichtet ist und die letztendlich bei aller Offenlegung eine Entscheidung trifft. Aber darin sehe ich nichts Furchtbares! Zum Schluss noch eine Frage an die Experten dieser Runde: Ist es wirklich so furchtbar, wenn ich auch manchmal Gewalt-Phantasien habe, müsste ich das einmal hinterfragen? Ich lese beispielsweise gerne Kriminalromane zum Stressabau und lebe in diesem Romanen auch mit der Gewaltszenerien mit - sollte mich das mit Sorge erfüllen?

Rotraud PERNER: Ohne Ihnen nahe treten zu wollen: Ja! Es ist schon ein Hinweis, dass man mit seiner eigenen Aggression und Aggressivität nicht in Balance ist, wenn man besonders gerne Krimis liest, Horrorfilme sieht oder auch sich in größeren Ansammlungen daran erfreut, wenn andere streiten und man selbst noch ein Schäuferl nachlegt. Nur das ist normal. Es bewegt sich in der normalen Bandbreite.

Man ist nicht in Balance. Es ist nicht die Idealform menschlicher Ausgeglichenheit, aber es ist die übliche Form, wie wir mit dem Leben fertig werden.
Wir wählen alle Berufe, wie es Sylvia Zwettler in ihrem wunderbaren Buch »Warum Lehrer Lehrer werden« darstellt.

Sylvia Zwettler (1981): Warum Lehrer Lehrer werden. Wien: Orac.

Als Juristin weiß ich natürlich nach vielen tausend Stunden Eigenanalyse, warum ich Juristin geworden bin oder warum ich mich der Psychotherapie zugewandt habe. Wenn ich es also hinterfrage und ich in die Tiefe gehe, dann finde ich immer eigene Betroffenheit und Ungleichgewichtigkeit. Aber die finde ich bei jedem.

Martin HÄMMERLE: Also, wenn ich Märchen lese ...

Rotraud PERNER: Wenn ich als Erwachsener gerne Märchen lese, dann ist für der Psychoanalyse dann natürlich sehr spannend herauszufinden, welche Märchen gelesen werden und welche Mängel hier befriedigt werden! Ist es die Freude, wenn die böse Stiefmutter in den rotglühenden Schuhen tanzen muss oder ist es so, dass Helfer kommen und einem helfen - das muss ich analysieren - und wenn ich genug Leute analysiert habe, dann kann ich eine große Studie machen und sagen, bei diesem Sample ist dieses und jenes herausgekommen.

Bernd HACKL: Das provoziert. Da muss man wenigstens eines dazu sagen. Wir leben in einer Welt, wo wir permanent mit Gewalt konfrontiert sind. Ich behaupte, niemand von uns kann von vornherein ausgeglichen sein in diesem Sinne, weil wir ja permanent gefüttert werden mit einem Ungleichgewicht, daher haben wir ja überhaupt keine Chance, als uns mit dieser Unausgeglichenheit zu beschäftigen, vielleicht den Versuch unternehmen, die Ausgeglichenheit herzustellen.

Rotraud PERNER: Bitte, lassen Sie mich meine Wortmeldung selbst halten, soviel Einfühlsamkeit beschämt mich. Mir ist das nämlich wirklich wichtig. Wir haben ja in unserem Kulturkreis ein Ideal der Gewaltfreiheit und des Gewaltverzichtes. Gerade Jesus ist ja in unserem Kulturkreis der Exponent des Gewaltverzichtes. Auf der anderen Seite, wenn ich das Ideal leben will und Gewalt verzichtend sein will, komme ich natürlich als Protestantin in den Bereich der Rechtfertigungslehre, wo Gott mich durch meine Unzulänglichkeit annimmt. In unserem Kulturkreis ist das ja sehr ambivalent. Da haben wir auf der einen Seite das Ideal, gleichzeitig haben wir auch die Hoffnung. Wir bemühen uns und werden trotzdem angenommen. Wenn wir aber toll und perfekt sein wollen, sind wir sündig, denn wir nehmen die Schattenseiten nicht an.

Der Ansatz in meiner Lehrveranstaltung ist der, dass ich frage, wie ich den Ansatz der Gewalt auf der historischen Linie im Hier und Jetzt erkennen kann:
Etwa bei mir, bei jemandem anderem, in der Atmosphäre und wie ich technisch, damit ich nicht lange Zeit brauche, damit umgehen kann. Ich versuche, meinen Studentinnen und Studenten nahezulegen zu fragen: »Halt, was ist jetzt da?«

Denn das unterbricht schon, normalerweise fragt sich das ja keiner. Ich denke, dass es wichtig ist, wenn ich mich mit Gewalt beschäftige, dass ich neuro-physiologisches Grundwissen habe, da würde ich mir wünschen, dass es auch immer wieder in den Medien passend, wenn wieder irgend etwas passiert ist? Dass da ein kleiner Kasten dabei ist, wo man immer wieder Fachwissen vermittelt. Denn ich weiß natürlich als jemand, der lange in auch in den Medien gearbeitet hat, dass ein Thema noch lange keine Geschichte ist.

Es wird um den Platz gerungen wie um die Budgets in der Regierung, und es gibt dafür spezifische Nebenschauplätze. Da habe mittlerweile ich schon erfahren, wieviel Bedarf nach Anerkennung und Aufmerksamkeit es gibt.

Daher möchte ich schon sagen, ich finde es ganz toll was da passiert: In den Schulversuchen und aus privatem Engagement. Ich finde es daher wirklich wichtig, aber ich erwarte so eine Information auch über das Internet, ich erwarte sie über Fachzeitschriften...
Ich weiß, wenn man damit in die große Öffentlichkeit geht, dann muss man viel mehr machen und viel stärker vernetzt sein. Aber ich kann diese Information wieder in meinen Kolumnen unterbringen und kann zumindest ein bisschen etwas machen.

Ich denke, dass es wichtig ist zu wissen, dass Gewalttätigkeit im Stammhirn beheimatet ist. In dem Moment, wo ich sie im Großhirn auch in Sprache plane, ist es Sadismus, ist es eine ganz geplante Strategie, jemand anderen zu verletzen und ich denke: wir reden hier über die affektive Gewalt, über jene, wenn jemand nicht mehr mit seinen Gefühlen fertig wird.

Daher gehört für mich der Erfurter Attentäter zu dieser Stammhirn-Form, er ist nur hochintelligent und hat sich überlegt, wie er es macht und so durchsetzt, dass seine Vorbereitungen nicht bemerkt worden sind. Denn Verbrechen werden ja normalerweise im Geheimen vorbereitet! Ich unterscheide gegenüber dieser Form von Gewalt und bedaure, dass es dafür keinen Fachausdruck gibt (das wäre etwas für Germanisten!) jene »Gewalt«, wenn sich jemand sehr genau überlegt, wie er eine Struktur aufbauen und auf lange Zeit hin chronisch Gewalt oder Macht ausüben kann. Im Deutschen gibt es hier die differenzierenden Fachausdrücke leider nicht.

Ich stütze mich bei meiner Definitionen von Gewalt auf die Definition von Johann Galtung, und zwar als Handlung gegen den Willen einer anderen Person, die deren Potential schädigt. D.h. wenn beispielsweise ein Masochist sich aufknüpfen lässt, ist es nicht gegen seinen Willen, auch wenn er nachher gesundheitlich geschädigt ist. Er ist international anerkannt, ich finde, das ist die beste Definition.
Galtung hat in dieser Definition auch die strukturelle Gewalt beinhaltet, wenn er sagt, dass eine Struktur beispielsweise verhindert, dass Menschen nachdenken: Könnte es nicht auch anders gehen? Denn so wird positives Potential geschädigt.

vgl. auch: http://www.wegweiser-buergergesellschaft.de/praxishilfen/konfliktloesung/hintergrundtexte/gewalt_johann_galtung.php

Ich würde mir wünschen, dass Friedenserziehung in der Oberstufe beispielsweise in Philosophie und im Ethikunterricht, aber natürlich auch in anderen Fächern - da muss man schauen, wie es passt - thematisiert wird. Insofern stimme ich Ihnen, Prof. Hackl absolut zu, in der historischen Sichtweise, dass in der Schule, in der Gesellschaft Prämissen definiert von der jeweiligen Regierung angepasst werden. »Gesellschaft« von der Regierung definiert ist etwas anderes als »Gesellschaft« an der Basis. Gerade weil so viele Pädagog.innen da sind, möchte ich darauf hinweisen, dass aus dem System Psychotherapie, Stressforschung, Hypnotherapie sehr gut nachgewiesen ist, dass der Bio-Rhythmus und zwar die ultra-dyaren Rhythmen innerhalb des Tages alle anderthalb Stunden zwanzig Minuten Pause erfordern, sonst kommt unser Stress nicht über den Tag. Die Schulstruktur ist also schon von vornherein darauf ausgerichtet, Menschen zu disziplinieren, gegen die ultradyaren Rhythmen zu leben, was nützlich sein kann. Ich sage es wertneutral, das mag also durchaus nützlich für die Arbeitswelt sein, die wir haben, aber gesund ist es nicht.

Güterabwägung: In ethischen Fragen muss ich immer schauen, was ist das höherwertige Gut? Das definieren wir (als Juristin gesprochen). Ich stehe nicht auf der einen Seite, auch nicht auf der anderen, ich sage nur, es sind Entscheidungen dahinter und ich finde es gut, wenn nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer und Lehrerinnen sich damit beschäftigen, in welchem System ich arbeite, welche Strukturen gibt es, was mit gut tut, was schlecht, wo ich bereit bin, mich anzupassen, wo ich mich anpassen muss, wo ich mich a die Personalvertretung wende, wo ich (mit anderen)dagegen kämpfe...

Ich habe bestimmte Potentiale. Wenn aber ich diese Potentiale nicht zur Verfügung habe, dann stehe ich unter Gewalt. Und da beginne ich mich zu fragen: »Wie gehe ich mit Gewalt um?« Doch es gibt auch die Möglichkeit des Gewaltverzichts, und da bin ich nur mit meinem menschlichen Instrumentarium gefordert. Ich bleibe beim Medienbeispiel: Ich bin ein Aufdecker, ich schreibe eine Geschichte, exakt gegen die Austria Tabak, prompt wird ein Inserat von mehreren zehntausend Euro gestoppt.

Da gibt es von beiden Seiten Gewalt. Denn keiner will das, das Potential ist geschädigt, wie gehen wir damit um? Es ist ja nicht so, dass in der Schule Schüler, aber auch Lehrer und andere Verantwortliche nicht wüssten, was die möglichen Folgen des Handelns sein werden! Nur wird nicht ausgehandelt, wie wir miteinandner umgehen, sondern es wird ersucht, dass einer den anderen übervorteilt! Das ist in uns drinnen und deswegen bin ich so kritisch gegenüber dem juristischen Paradigma, wo es immer einen Sieger und einen Verlierer gibt, das haben wir auch in den Medien, immer wieder dieses Sieger-Verlierer-Modell.

AUSVERHANDELN STATT SIEGER-VERLIERER-MODELL


Aber da gibt es auch das mediatorische Paradigma, wo es darum geht, wir verhandeln aus, wie wollen wir mit einer bestimmten Sache umgehen. Gerade das finde ich für die Schule sehr spannend, das Ausverhandeln. Dass beispielsweise Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam aushandeln, dass wir auf diesen Bereich verzichten und statt dieser Form der Prüfung eine andere machen.

Ich halte das für sehr spannend, hier den mediatorischen Bereich hereinzubringen! Ich kenne Ähnliches aus dem juridischen Bereich. Ich bin Konsulentin im Justizministerium: Es tobt derzeit der Konflikt um ein Mediatorengesetz, wo die Schulmediatoren benachteiligt werden.

Wir kämpfen derzeit darum, dass die Schulmediatoren gegenüber den Gerichtsmediatoren nicht benachteilgt werden, sondern dass das einen einheitliche Berufsgruppe wird. Es wird wahrscheinlich nicht gelingen. Das sage ich nur für die, die vielleicht in dem Bereich tätig sind, es wäre gut sich hier einzbinden, denn es soll keine Zwei-Klassengesellschaft von Mediatoren geben. Mediation im Schulbereich heißt für mich (ich selbst unterrichte unter anderem in Krankenpflegebereich), dass ich immer so vorgehe, dass ich mich zuerst vorstelle und sage, was ich vorhabe. Ich frage, ob das vorstellbar ist, ob wir so miteinandner umgehen, denn meine Thesen zur Gewalt sind:

Die Wurzel der Gewalt ist die Konkurrenz, darunter verstehe ich, das einer sich über den anderen erhebt, den anderen demütigt, Attacken auf das Selbstwertgefühl. Ich kann jeden Menschen so lange reizen, dass er psychotisch wird. Dann gibt es Leute, die in Psychose noch planungsfähig sind und die, die nicht mehr planungsfähig sind.

Das kann auch uns passieren: Amokläufe in den Familien, es wird auch bei uns zu Amokläufen in den Büros kommen, irgendwann einmal kann auch ein Lehrer Amok laufen und den Direktor oder den Bezirksschulinspektor attackieren. Wir haben solche Fälle schon gehabt, sie sind vertuscht worden.

Ich kenne genug solcher Fälle, genug heißt, über ein Dutzend, unter zwei Dutzend. Mediatorisch vorgehen heißt der anderen Person möglichst viel Respekt entgegenzubringen, also sie nicht zu reizen und sie nicht in ihrem Selbstwertgefühl zu verletzen. Das kann man lernen, kognitiv lernen, da muss ich nicht fünf Jahre in Selbsterfahrungskurse gehen, das geht schneller. Es wurde schon angesprochen: »Ich bin o.k., du bist o.k.« Die Transaktionsanalyse bietet da ein wunderbares einfaches Modell, das kann man in einem Tag vermitteln.

Erc Berne (1967): Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen - Frankfurt: Rowohlt
Thomas A. Harris (1979): Ich bin o.k. Du bist o.k. - Frankfurt: Rowohlt

Ich würde mir eine Ringvorlesung wüschen, in der alle diese Modelle vorgestellt werden und quer durch alle Studienrichtungen, denn eigentlich braucht dies ein jeder, damit wir aufhören, gegeneinander zu konkurrieren, wer der bessere ist. Denn das ist gesundheitsschädigend und das ist auch etwas, was die Medienberichterstatter wissen müssten, weil sie ja die Möglichkeit haben, entsprechend Gewichtungen zu geben. Ich kann eine Geschichte so oder so schreiben. Wenn ich nicht nur meine eigene subjektive Sichtweise anbieten will, dann muss ich eben einen Experten dazu befragen!

Bei den Beraterausbildungen (Pfleger, Ärzte, Lehrer, Ordensleute) habe ich immer ein eigene Übung, in der ich ein aktuelle Meldung nehme und sie dann für die Kronenzeitung, für den Kurier, für den Standard, für die Presse, für die Krankenpflegerzetung, eine katholische Zeitung, für die Weizenkirchner Rundschau etc. Das ist immer sehr spannend, damit sie sich auch einfühlen können, wie sie sich präsentieren und worauf sie verzichten. Es geht immer darum, worauf ich verzichte. Mit geht es auch immer darum, wie ich merke, dass ich selbst gewalttätig werde! Ich merke das an meiner Atmung, an der Muskelverspannung, die sich aufbaut.

Wo fühle ich mich nicht respektiert, wovor habe ich Angst, dass ich beispielsweise auch einer randalierenden Klasse sagen kann?
Jetzt fühlen sich viele nicht respektiert und ich habe die Arbeiten, in denen die Studenten schreiben, sie hätten es nicht geglaubt, aber sie haben es ausprobiert und es funktioniert. Beispielsweise hat ein Religionslehrer mit sehr viel Bildungserfahrung geschrieben, er habe es in der Notenkonferenz ausprobiert - und und wie er dann bemerkt habe, dass er mit seiner Direktorin nicht reden könne und dass Gefühl hatte, sie wolle ihn unbedingt vernichten, hat er sein Ziel verändert, um nicht das Gesicht zu verlieren. Er hat sich gesagt: »Ich rede ihr nicht dagegen, ich versuche sie zu verstehen, ich akzeptiere, dass sie einen anderen Blickwinkel haben muss als ich und ich sehe, dass im Augenblick von mir aus hier nichts weiter zu vermelden ist.«

Die Zieländerung war also wichtig und hat zur Lösung geführt und nicht: »Hauptsache, dass ich mich nicht über den Tisch ziehen habe lassen und stehe dann als jemand da, der aus der Rolle gefallen ist.«

Das ist so im Klartext zu erkennen. Ich verzichte auf die Gewalt des Duells, wenn ich vermerke, es geht nicht, ich komme mit der Erstform nicht durch, also resümiere ich und verzichte darauf auch mimisch und gestisch irgendwelche Signale der Verachtung zu geben, hiermit reize ich den anderen auch. Also hier auf sich selbst aufpassen, nicht mit höhnischen Sätzen in den Untericht zu gehen, wie sie in der Literatur dann wiedergegeben werden, so waren auch meine eigenen schulischen Erfahrungen, beispielsweise als der Griechisch-Professor zum ersten Mal zu uns gekommen ist: »Wieviel seid ihr heuer? 18? Nächstes Jahr seid ihr nicht mehr so viele!«

Brigitte SCHRÖDER: Im Sozialen Lernen üben wir sowohl mit den Lehrern als auch mit den Schülern: Wie formulieren wir Ich-Botschaften? Das umfasst eine ganze Übungseinheit und für die Lehrer gilt dann auch die Wahrnehmungsschulung: Was passiert in der Klasse - und Störungen haben Vorrang. Wie gehe ich dann damit um?

Rotraud PERNER: Beim Coaching ist es für uns so, dass ich da zwei Möglichkeiten habe, jenseits der Definition, wie ich Coaching verstehe, kann ich natürlich sagen: Ich verzichte auf die Notengebung, setze mich dafür ein, dass das unnötig wird und lasse beispielsweise auch die Schüler sich selbst benoten. Auf der anderen Seite wird mit dem Wort »Coaching« Schindluder getrieben. Das erlebt derzeit eine Inflation...

http://www.coaching-literatur.de/gesamte-coaching-literatur.htm

Von der ursprünglichen Wissenschaft, wie sie Anfang der 80-er Jahre von Jürgen Geissler gebracht wurde, ist Coaching eine ganz besondere Dienstleistung für Unternehmer, um ihre eigenen Ziele zu hinterfragen.

Das wäre beispielsweise eine Dienstleistung, die nicht nur Schülern oder Lehrern oder dem Direktor zugute kommt und es müsste der Coach nicht nur eine Psychologieausbildung, sondern auch eine juristische und eine betriebswirtschaftliche Ausbildung habe, nicht nur Praxis - es geht um juristische und ökonomische Strukturen. Heute nennt sich jeder Verkaufstrainer Coach.

Man muss da sehr aufpassen: Ich denke, Menschen fördern und begleiten ist sowieso unabdingbar. Es stellt sich nur die Frage: Bin ich fördernd oder bin ich schädlich dabei? Auch daher ist es so wichtig, dass gerade Lehrkräfte - ich komme aus einer Lehrerfamilie, die irgendwann ihre ausgeschrieenen Stimmen haben, weil sie ganze Säle füllen müssen - lernen, sich auch stimmlich zurückzunehmen, weil sie sich bewusst machen sollten, keine Kampftöne in die Klasse von sich zu geben.

Das sind oft so kleine Details, wo man dann abwägen muss: Gehe ich jetzt mit dem Megaphon oder mit dem Handmikrophon? Das ist ja möglich, unüblich, aber die Schüler sind das eh von den Popkonzerten gewohnt. Deshalb denke ich, dass es immer darum geht zu überlegen: Jede Gewalttat hat immer auch eine Geschichte, die sich langsam aufbaut. Es hüpft keiner bloß hinter einem Baum hervor. Da ist schon vorher etwas passiert.

Ich möchte einen Verzicht auf respektlosen Umgang vermitteln. Dazu brauchen wir Modelle, da sind auch die audiovisuellen Medien gefordert. Man kann es aber wunderbar schon in der Volksschule mit Rollenspielen einüben.

Und dann brauchen wir - und da sehe ich ein großes Problem - Eltern, die nicht erwarten, dass Lehrer.innen alles reparieren, was sie selbst verhaut haben, was sie allerdings von den Lehrer.innen erwarten! Etwa, wenn von den Eltern ermuntert wird: »Richten`S eam de Wadel viere!«

Es müssten sich also Lehrer gleichsam gegen die Gewalttätigkeit auch der Eltern zur Wehr setzen können und sie müssten dabei Rückendeckung von Seiten der Direktion haben. Da gibt es auch Studien dazu, dass das Klima, die Atmosphäre einer Organisation stark von der Führungskraft bestimmt wird. Wenn diese Gewalt toleriert, haben wir Gewalt dann auch.

BEZUGSPUNKTE UND FREIRÄUME WIDER DIE GEWALT


Uta ROTHMAYR: Ergänzend zur Problematik Gegensatz Lehrer-Eltern: Es ist ja auch ein strukturelles Problem, dass viele Kinder nachmittags allein sind. Ich habe mich bei vielen Gelegenheiten umgehört: Wer ist nachmittags tatsächlich zu Hause? Das ist die Minderheit! In der Volksschule funktioniert dies mit Hort und Nachmittagsbetreuung noch ganz gut. Aber die Jugendlichen ab elf, zwölf Jahren gehen nicht mehr in den Hort. In diesem schwierigen Alter zwischen 13 und 16 sind die Jugendlichen, die ich kenne, einfach alleine zu Hause. Sie schalten dann die Mikrowelle ein, sie sollten dann Aufgaben machen und haben dabei auch die emotionale Unterstützung nicht, wenn sie nach Hause kommen, etwa: »Ich habe mit XY gestritten, das haben die Lehrer gemacht, das ist in der Schule passiert...«

Rotraud PERNER: Sie beschreiben jetzt einen Mangel, der sich an einem Ideal orientiert. Das Ideal gibt es noch. Ich habe zehn Jahre im Verein »Jugend in der Stadt Wien« gearbeitet und im BassenaClub. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke: Meine Mutter war zwar am Nachmittag zu Hause, aber gekümmert hat sie sich nicht um mich, sondern sie hat Klavier gespielt, sie hat genäht oder sie hat Häuser gezeichnet und ich war irgendwo auf der G´stettn. Gut das waren die 50-er Jahre. Das gibt es heute kaum mehr!

Uta ROTHMAYR: Aber der Hintergrund war da, es war jemand zu Hause.

Rotraud PERNER: Ja, das ist schon richtig, wenn ich aber an die Club-Bassena-Zeit denke, da sind die Mütter im Cafehaus gesessen oder bei irgendwelchen Freundinnen, haben geraucht, Kaffee getrunken und getratscht. Die Kinder waren unbeaufsichtigt am Balkon oder im Kinderzimmer. Sie haben schon recht. Es war wer da. Im Jugendzentrum waren wir da - es war immer jemand da.

Uta ROTHMAYR: Von der Bindungstheorie her: Wenn ich weiß, es ist jemand da, dann kann ich in die Welt hinausgehen, ich kann dann auch zurückgehen, es ist ja jemand da.

Rotraud PERNER: Trotzdem, schauen wir zurück in die Geschichte, zu den Bauern in die Landwirtschaft. Natürlich, es ist immer wer da, aber nicht gerade jemand Liebevoller. Da gibt es dann auch die Übergriffe der Knechte und der Mägde, die sich an der Herrschaft rächen usw.

Grausamstes geschieht, man muss gar nicht in die Weltliteratur schauen, man braucht nur mit Klienten arbeiten. Denn in der Landwirtschaft und im Gewerbe wird »gehackelt«. Die Kinder wuseln immer irgendwo herum. Über die Arbeiterschaft brauchen wir nicht reden - und im Kleinbürgertum gab es auch die böhmische Köchin. Das heißt wir haben ein Ideal, das sich an der Familienkonstellation der NS-Propaganda orientiert.

Uta ROTHMAYR: Aber auch in den skandinavischen Ländern...

Hubert HUBER: ...und auch an der Disney-Propaganda.

Rotraud PERNER: Natürlich will ein Kind immer frei zu diesen und jenen Menschen gehen können; es beschäftigt immer spielend eine Mutter, einen Vater, Onkel, Tanten, Großeltern, Nachbarn, Geschwister, wie wir alle, wenn wir frei sind. Ich möchte dieser Romantisiererei Einhalt gebieten.

Uta ROTHMAYR: Aber unsere Jugendlichen treiben sich alleine auf gefährlichen Straßen herum, sie haben Geld. Sie sind alleine und einsam. Ich möchte das Modell der Ganztagsschule entgegenstellen.

Rotraud PERNER: Das ist ein Modell! Ich persönlich - aber da bin ich befangen - propagiere die Jugendzentren.

Uta ROTHMAYR: Das Wichtigste ist: Nicht einsam zu sein!

Gerhard WAGNER: Die Eltern im Hintergrund sind sicher wichtig. Wird man älter, sucht man sich einen Freiraum. Sie haben gesagt, die G´stettn. Aber wo gibt es heute noch diesen Freiraum? Und: Sind die Freiräume, die zuerst so empfunden werden, dann tatsächlich Freiräume? Das Internet ist sich so eine Möglichkeit, aber die Manipulationsmöglichkeiten sind immerhin groß. Wir konnten uns das Leben noch im Wald oder beim Radfahren erobern. Ich weiß nicht, ob das noch so leicht möglich ist...

Rotraud PERNER: Als ich von 1977 bis 1987 in den Jugendzentren gearbeitet habe, haben wir uns sehr an den Bedürfnissen orientiert, wir haben uns also mit den Jugendlichen besprochen, was sie brauchen, haben Spielplätze gemeinsam eingerichtet. Allerdings gab es dann die erste Sparwelle der Gemeinde Wien, womit die Pädagogenarbeit eingeschränkt wurde. Es hat sich seither ziemlich verlagert auf die Betreuung von Jugendlichen der ersten oder zweiten Generation von Immigranten (das weiß ich aus der Arbeit als Supervisorin). Es ist hier ein Sonderbedarf entstanden, auch hinsichtlich des Auftretens von Gewalt zwischen den Kulturen, hier eine Form zu finden, wie sie einander besser respektieren können.

Ich denke, dass wir alle als Gesellschaft gefordert sind, uns zu überlegen, ob wir überhaupt wahrnehmen, wo ein Kind allein oder unbetreut ist; wir brauchen multifunktionelle Angebote: Die Ganztags-Schule ist sicher eines, weil es Eltern gibt, die sagen, sie möchten eine stärkere Struktur haben und andere, die sagen, sie möchten mehr Freiheit für ihre Kinder. Dazu möchte ich auch sagen, wir müssen auch darauf schauen, dass ein Kind ordentlich ernährt wird. Das wird vielfach unterschätzt. Wir müssen ferner aufpassen, was für eine geistige Umweltverschmutzung wir Kindern genehmigen. Die Drogengefahr kann man eigentlich ziemlich einschränken. Denn man kann leicht feststellen, welche Konstellation in der Familie es gibt auf jener Basis, dass jemand sich betäuben oder aufputschen will.

Aber was wirklich arg ist: Wenn nicht miteinander geredet wird! Das kann vielleicht eine Lehrkraft aufmerksam sein: Ich supervidiere gelegentlich »Rat auf Draht« und höre , dass da immer wieder gesagt wird: »Ich habe niemandem zum Reden!« Da, denke ich, sollte ein möglichst breites Angebot erstellt werden, das könnten durchaus auch Schüler selbst übernehmen - im Rahmen des Psychologie-Unterrichts oder eines Tutorenprogrammes »Schüler für Schüler«: Soziale Kreativität ist hier wirklich gefragt. Was das Internet betrifft: die Gefahr der Verführung ist immer gegeben. Weil Indoktrination schon immer ein Mittel war, sich Abhängigkeiten schon von Seiten der Jugendlichen her aufzubauen. Das gehörte in die Medienpädagogik. Ich vermute, dass wir nicht umhinkommen werden, die erste Stunde des Schulunterrichts der Aufarbeitung des Fernsehprogramms oder der Abenteuer im Netz zu widmen.

Ich war beispielsweise einmal in einer Schule in der Steiermark, das konnte man die Klassentüre öffnen, und in den Garten hinaustreten. Dort ist der Garten praktisch im Klassenzimmer! Dort gibt es keine Gewalttätigkeit. Diese Schule ist so gescheit gebaut! Eine ganz tolle Schule! Beim Schulbau mitreden zu dürfen wäre wichtig - wir haben ja heute schon von Demokratie und Mitbestimmung gesprochen - viele Lehrkräfte haben da ganz tolle Ideen! Auch so etwas gehört veröffentlicht!

Aber es sollten auch Studien erstellt und dann veröffentlicht werden, unter welchen Umständen sich das Klima verändert. Denn da gibt es offenbar einen Zusammenhang zwischen Ästhetik, Schönheit und Schulklima.

Brigitte SCHÖDER: Ich möchte darauf hinweisen, dass wir an den Schulen ungeheure Ressourcen schlummern haben. Riesige Gebäude, viele Menschen, die einander treffen können, privatisieren können, Musik hören können, was immer... Zumeist haben die Schulen EDV-Räume, die nicht genutzt werden außerhalb der Unterrichtszeit. Oft haben sie Küchen, oft Büffets oder andere Möglichkeiten, dass Kinder das machen, was sie gerne miteinander machen möchten. Es kann so etwas wie eine Basis sein, von dem aus sie starten und wissen, sie kommen wieder zurück. - Schule als sozialer Lebensraum.
Schulbeispiel Kanada: Dort wird ein Frühstück für die Kinder angeboten, dort wird Arbeit mit den Eltern wird angeboten - etwa wie Eltern ihre Kinder bei Lernschwierigkeiten unterstützen können.

Ich sehe aber nicht ein, warum Lehrer, die zum Teil hochspezialisiert und erfahren sind, mit 55 oder 60 in die Pension geschickt werden - und dann dürfen sie den Ort ihres Handelns nie mehr betreten. Viele würden freiwillig ihre Mitarbeit anbieten! Viele würden gerne freiwillig für einige Stunde zurückkommen und etwa ein Schulprojekt betreuen. Da würden alle profitieren.

Rotraud PERNER: Ich glaube, es wird sich die Zwei-Drittel-Gesellschaft einstellen. Zwei Drittel haben Arbeit, ein Drittel ist nicht kriminell und nicht krank... Wir, die wir Arbeit haben, müssen uns überlegen, wie wir etwas von unserer Arbeit und unserem Geld hergeben können...

Klaus POLLHEIMER: Ich möchte noch etwas zum Projekt »Verschönerung des Schulgebäudes« etwas sagen:
Ich kenne ein Projekt, dass durch Verlängerung der Pause die Kommunikation der Schüler untereinander entgegenzukommen. Das ist auch gelungen. Diesbezüglich trauere ich um jene Wandertage, die immer wieder eingespart werden. Denn diese können Beziehungsraum für private Begegnung eröffnen, der sonst in der alltäglichen Struktur nicht stattfindet. Wir haben in Österreich keine Schulpflicht, wir haben eine Unterrichtspflicht. Daraus ergibt sich auch ein persönlichkeitsdiagnostisches Inventar: Für mich ist ein Lehrer ein Stärkenförderer und nicht ein Schwächensuchender!

Christine WLDNER: Für mich ist es wichtig, Frust und Unmut zuzulassen und aussprechen zu können, Wahrnehmungsebenen zuzulassen, mich herauszunehmen und die anderen so sein zu lassen, wie sie sind, und ihnen zu geben, was sie brauchen.
Einen personalen Zugang beziehe ich aus der Anthropologie Frankls: Wie gehe ich etwa der existentiellen Bedrohung, die jugendliche Menschen haben, nach: nämlich der Sinnfindung im Rahmen meiner Wirklichkeit?

Da haben treten viele Strukturprobleme zutage. Ich muss im möglichen Lebensbereich in meinem Umfeld schauen, was meine beste Möglichkeit ist. Es gibt nur diesen Personalien Ansatz, von mit auszugehen, nicht für andere etwas zu entscheiden oder zu regeln oder von anderen etwas entschieden und geregelt zu bekommen. Wichtig ist hingegen in jener Rolle, in jener Funktion, in in jener Bedeutung, die die meine ist, meine Angelegenheite zu verwirklichen.

Das schafft dem anderen nämlich die Möglichkeit, es ebenso zu tun.

Ich fordere daher dazu auf, in die Arbeitsfelder zurückzukehren und einmal diesen personalen Zugang zu wählen, die Emotionen bei sich selbst anzusehen, zu beobachten, was mit mir da passiert, welche Einstellung ich dazu einnehme und wie ich schließlich zu meiner entsprechenden Ausdrucksfähigkeit kommen kann...

Schulversuche wie »Soziales Lernen« sind solche Beispiele, weil da permanent an diese Fragestellungen im Team gearbeitet wird. Es ist völlig unspektakulär, aber es hilft denen, die hier mitmachen.

Rotraud PERNER: Ich war als Bezirksrätin und Jugendbetreuerin tätig. Dabei habe ich folgendes feststellen können: Viele Schulgebäude fördern durch ihre bauliche Struktur Gewalt! Sie sind unübersichtlich, es ist keine soziale Kontrolle möglich. Es gibt auch Gewalttaten von schulfremden auf Schüler.innen. Es sind oft viele Kleinigkeiten: Man müsste schauen, wo gibt es Abteilungen, bei denen man nicht sieht, was dahinter passiert?Oder: Wo gibt es tote, nicht einsehbare Ecken? Man sollte sich überlegen, wie man vom Baulichen her auch psychologische Gesichtspunkte berücksichtigen kann: Was löst Angst aus?

Der Titel der heutigen Diskussionsrunde heißt »Angst der Schüler, Angst der Lehrer«
Gavin de Becker mit seinem Buch »Mut zur Angst« ist Sicherheitsberater mehrerer amerikanischer Präsidenten und sonstiger gefährdeter Personen. Angst definiert de Becker als ein Warnsignal, das signalisiert: »Achtung! Aufpassen! Irgendetwas stimmt nicht!«
Ich glaube, dass es wichtig ist, zur eigenen Angst zu stehen, die eigene Intuition zu schärfen.

Gavin de Becker (2001): Mut zur Angst - Wie Intuition uns vor Gewalt schützt. Frankfurt/Main: Fischer Verlag.
http://www.gdbinc.com/index.cfm

Dazu gehört auch, zu phantasieren, was könnte es sein, worauf ich mit Angst reagiere? Möglicherweise sind es Hassgefühle bei einer anderen Person: Dann muss man aber nicht die Person vernichten, wie es schon Kain getan hat, sondern die Person fragen, ob es irgendetwas gibt, »das dir nicht taugt. Kann ich irgendetwas zur Verbesserung der Situation beitragen?« Die Lösung liegt in Kommunikationskenntnissen und Fähigkeiten, solche Versuche, wie die, die wir angesprochen haben, gehören in die Regelausbildung für alle Menschen in pädagógischen Berufen. ich würde sogar sagen, nicht nur der pädagogischen, sondern aller sozialen und Gesundheitsberufe. Alle die Eltern sind, könnten die Information weitergebemn, damit es für markante Krisenzeiten des Lebens Angebote gibt. Ich glaube, dass wir aufhören müssen, uns gegenseitig zu versichern, dass wir alle sowieso »persönlich sowieso keine Probleme haben«, sondern dass wir schauen, wo wir Probleme haben. Dann können wir uns so solidarisieren, dass wir alle Opfer von Gewalt sind oder sein können und daran können wir daran arbeiten, auch auf unsere eigene Gewalttätigkeit zu verzichten.

Dann habe ich noch einen operativen Vorschlag: Psychologen und Psychotherapeuten, die Praktikumsstunden absolvieren müssen, müssen angeleitet werden von jemandem, der die Qualifikation hat, nämlich Psychologen und Psychotherapueten, das wäre vielleicht eine Berufsgruppe, die man motivieren könnte, in Projekten daran mitzuwirken, dass die Leute gewaltfreier miteinander umgehen.

Uta ROTHMAYR: Ich habe in meiner Praxis mit Jugendlichen zu tun, die kommen mit ihren persönlichen Schuldramen, mit Leistungsdruck, mit Ungerechtigkeit von Seiten der Schule. Sie getrauen sich nichts zu sagen. Die Eltern sind eingeschüchtert. Ein Beschwerdestelle oder ähnliches wäre interessant. Ich gehe manchmal hin und rede mit den Lehrern. Aber häufig ist das Klima schon vergiftet und so mit negativen Emotionen aufgeschaukelt, dass nur mehr ein Schulwechsel in Frage kommt. Ich wünschte mir, dass es da Lösungen gibt, damit Kinder nicht derart unter Druck geraten.

Auf der anderen Seite haben natürlich auch die zukünftigen Lehrer Ängste, in eine Klasse in einer Gegend zu gehen, in der es Gewalttätigkeiten gibt, um Sechzehnjährige zu unterrichten. Soziales Lernen ist sicher gut, auch der Schulversuch der Mediatoren.

Selbsterfahrung bei uns einzelnen und auch bei den Studierenden halte ich aber des weiteren für sehr wichtig: Wir müssen uns die Frage stellen, wo wir selbst unterdrückt worden sin, welche Ängste wir gehabt haben, damit wir das einmal herauslassen, artikulieren und anschauen können damit wir das nicht selbst wiederholen und so das, worunter wir gelitten haben, unseren Kindern in der Klasse wieder antun!

Diese Selbsterfahrung ist deshalb so wichtig, weil viele Lehrer.innen es nie gelernt haben, bei all dem, was sie sonst gelernt haben, auf sich selber schauen und mit sich selbst ganz gut umgehen zu können, das ist eine Schlüsselkompetenz und ein wichtiger Ansatzpunkt, damit sie sich selbst wohl fühlen.

Lehrer.innen können jedoch, wenn es ihnen auf dem Weg zur Schule schon den Magen umdreht, oder ihnen schlecht wird, wenn sie das Haus nur sehen, nicht umfassend erfolgreich sein. Sie sollten hingegen viel stärker in sich hineinhorchen (können) und darauf achten, dass es ihnen gut geht und sie sich wohlfühlen. Das wird es ihnen leichter machen, gute Lehrer.innen zu sein.

Klaus POLLHEIMER: Ich möchte nicht nur von Zielen ausgehen, sondern appelieren, dass wir auch Visionen haben, die wir versuchen anzustreben: Auf der anderen Seite müssen wir mit uns selbst in Berührung bleiben und das besonders auch schon im Studium hervorstreichen. Supervision ist beispielsweise in den neuen Studienplänen für Lehramtsstudierende vorgesehen. Das ist ein Anfang.

Das zweite ist die Beziehungsfähigkeit der Lehrer zu den ihnen anvertrauten jungen Leuten: Die Beziehungsfähigkeit ist für mich die Grundlage des Lehrerseins, dass sollte uns immer bewusst sein: Ohne Fachwissen geht es nicht, aber der beziehungslose Einsiedler wäre in der Schule fehl am Platze.

Rotraud PERNER: Im Rahmen der Erziehungswissenschaft gibt es zwei Rogerianer, Stipsits und den Hutterer. Ein Apell an diese beiden Bildungswissenschafter, sich im Lehramt verstärkt einzubringen: Ich weiß von vielen Studierenden, dass ein Bedarf danach bestht. Das kann sogar eine teure Psychotherapie ersparen helfen: Denn bei Rogers, der soviel Pädagogisches geschrieben hat, wäre ja alles drinnen, was viele Lehramtsstudierende heute lernen wollen: Über ökonomische Aspekte will ich jetzt nicht reden. Ich denke, dass es ganz wichtig ist, personzentriert zu unterrichten und würde mir wünschen, das stärker zu akzentuieren und als Norm auf allen Ebenen des Unterrichts zu postulieren.

Zweitens möchte ich Bezug nehmen auf einen Artikel von Hans Zuliger der unter dem Titel »Der Fluch des Pädagogen« schreibt: Der Archetypus des »Sacerdos«, des Priesters, Heilers, Sehers, des Geschichtenerzählers, Richters, Schauspielers, Arzt und Heilers hat sich im Lauf der Zeit in die verschiedenen Berufe aufgespalten, alle mit Rangordnungen, die miteinander kämpfen, wer mehr Prestige hat. Als lächerliche Figur ist der Lehrer übriggeblieben, obwohl er der Wichtigste ist, da er die Grundlage zu allem anderen legt. Ich beobachte einen Trend wieder zurück zum »Sacerdos«: Wir holen uns die Ganzheit wieder zurück. Die verschiedenen Berufe holen sich verstärkt die verschiedenen Anteile wieder. Das beduetet, dass wir interdisziplinär wieder zusammenarbeiten sollen - und zwar ohne gegenseitige abwertende Vorurteile und Schuldzuweisungen, denn wir müssen zusammenarbeiten!

Brigitte SCHRÖDER: Ich würde mir wünschen, dass das, was an verschiedenen Stellen schon festgeschrieben ist, einfach ernst genommen und realisiert wird: Dass Studierende an der Universität erfahrungsorientiert lernen, was es heißt, sich dynamische Fähigkeiten anzueignen - und dass sie auch das methodische Repertoire dazu mitbekommen, wie sie es dann in ihrer Unterrichts-Arbeit umsetzen müssen.

Darum geht es mir beispielsweise im Modul »Miteinander lernen«, nicht damit Lehrer jetzt nur personenzentriert in ihrer Klasse arbeiten, sondern damit sie dieses Miteinander auch im kollegialen Kreis viel intensiver betreiben. Dann wird dieses Miteinander in den Ausbildungsorten, den Schulen, den Universitäten, viel stärker vernetzt stattfinden. zudem könnten diverse Helfersysteme und auch Eltern einbezogen werden.

Ein weiteres Anliegen: Dass der schon mehrmals angesprochene Schulversuch »Betreuung und Integration verhaltsauffälliger Schülerinnen und Schüler« ins Regelschulsystem übernommen wird und dass es an jeder Schule eine solche Anlaufstelle gibt.

Ich wünsche mir keine Kokurrenz zwischen Mediatoren den Pädagogen mit Zusatzqualifikation oder Psychologen. Ich glaube, dass viel an Ressourcen nutzbar wird, wenn das Gemeinsame im Vordergrund steht.

Und ich wünsche mir, dass es keine heimlichen Betreuungsmodelle gibt. Denn es gibt zahlreiche Lehrer.innen mit Zusatzausbildung, die dann in ihrer Freizeit etwas anbieten zur Schülerbetreuung - ohne Bezahlung (etwa für Schüler.innen, die Lernschwierigkeiten haben).

Schließlich wünsche ich mir auch für das Projekt »Soziales Lernen« die Übernahme ins Regelschulwesen - auf allen Schulstufen und in allen Schularten.

Rotraud PERNER: Eine Anregung: Othmar Hill hat über das Ende der Massenmenschhaltung geschrieben: Humanistisches Management in rasenden Zeiten. Viele Denkanstöße, das Hill-Fenster, das er hier entwickelt hat, ist meines Erachtens auch auf die Schule anwendbar.

Othmar HILL (2001): Das Ende der Massenmenschhaltung: Humanistisches Management in Zeiten rasender Gesellschaften. München: Akademie Verlag.
http://www.ameso.at/vortragende/person/Hill_Othmar/

Martin HÄMMERLE: Perspektive Lehererbildung, was ich mitnehme: Dass ich als Lehrer-Person das wichtigste Curriculum bin, dass ich diesen Beruf mit seiner Vielschichtigkeit und Komplexität immer als ganze Person vermittle - das sehe ich selbst auch, wenn ich es den Studierenden vermittle. Es geht nicht nur um das Fach, es geht um persönlichkeitsbildende Inhalte, um persönliche Kompetenzen, soziale Kompetenzen: Manches steht ja jetzt auch in den Studienplänen. Und diese Angebote sollen sie nützen, denn im Personalmanagement sind solche Seminare nahezu unbezahlbar!

Hubert HUBER: Schule ist eindeutig ein Thema! Dass es nicht immer so formuliert wird, wie es die Lehrer wünschen, liegt zum einen in der Natur der Sache und in der Natur der Medien, weil sie zum Teil schludrig recherchieren: Es werden immer wieder Fehler gemacht. Ganz abgesehen davon liegt auch einiges daran, dass etwa die Nachrichten über die Gewalttat von Erfurt ganz, ganz schnell übermittelt worden sind - in einer Vehemenz, die ohne Beispiel ist. Diese Unmittelbarkeit, dass man eigentlich live im Fernsehen sehen kann, wie die Leichen aus dem Schulhaus getragen werden,und diese Vehemenz oder Medienpräsenz ist sicherlich auch eines dieser vielen Tortenstücke, die zur Gewaltausübung beitragen können.

Der einzige gute Aspekt: Wenn sie gute Geschichten haben, bitte melden sie sich! Wir können dann unter anderem auch davon berichten.

Gerlinde KÖRPER: Lehrer brauchen einen sehr guten Pressesprecher.

Klaus POLLHEIMER: Wir haben es, was die Schule betrifft, in Österreich mit sieben Millionen Experten zu tun, jeder war einmal in der Schule, und jeder fühlt ich als Experte..

Hubert HUBER: Unser Herausgeber, Peter Rabl, ist einer, der immer wieder versucht, nur gute Nachrichten zu verbreiten, der immer wieder bestrebt ist, nicht so schwere, sondern positive Nachrichten weiter zu geben, nur kommen wir über gewisse Prioritäten nicht hinweg.

Was wir in den Redaktionen von den Lehrern hören, das sind oft Gewerkschaftsgeplänkel, wobei sich dann viele Zeitungsleser.innen denken: »Was wollen die, haben eh nur zwanzig Stunden Arbeit und die langen Ferien, und wenn sie in Pension gehen, dann haben sie eh soviel Geld!«

Wir kennen also diese althergebrachten Vorurteile gegenüber den Lehrer.innen, die in der Öffentlichkeit und den Medien geschürt werden. Auch ich selbst weiß, wie anstrengend Unterricht ist - ich habe eigene Erfahrungen in der Sommerakademie in Krems, ich weiß, wie ausgelaugt man als Lehrer sein kann, wenn man weitergibt, wenn man weitergeben kann. Daher kann ich nur immer wieder meine Aufforderung an die Lehrer wiederholen:

Wenn Sie ein »gute Geschichte« haben, dann leiten Sie sie an uns weiter!

Geschichten positiver Natur an Medien weiterzuleiten, hätte einen wichtigen Zweck: Massenmedien sind nicht von der Gesellschaft isolierte Institutionen. Sie möchten sich öffnen. Schulen und Lehrer sind immer wieder eingeladen, sich in den Redaktionen ein Bild zu machen von der Arbeit der Zeitungsmacher...

Denn die Medienerziehung kommt in den Schulen oft zu kurz. Wenn man sich überlegt, wie sehr Medien nicht nur die heutige Welt spiegeln, sondern auch die Welt gestalten - es gibt ja die Theorie, dass Medien eine eigene Wirklichkeit gestalten - dann ist es die Art und Weise, wie man (nicht) lernt, mit Medien umzugehen (Stichwort: Medienerziehung) auch noch eine Sache, die man in die übervollen Lehr- und Lehrpläne hineinreklamiert.

Gerhard WAGNER: Ich danke der Runde für dieses sehr interessante Round-Table-Gespräch. Anknüpfend bei der letzten Wortmeldung, aber auch bei vielen anderen Statements scheint die Tatsache, dass wir miteinander offen, ehrlich und kompetent kommunzieren, eine wichtige Voraussetzung wider Anspannung und Gewalt zu sein.

In diesem Sinne wollen wir auch die heutige Diskussion allfällige weitere Round-Table-Runden verstanden wissen. Nicht zuletzt deshalb, weil dort jene Inhalte, die sonst vielleicht zu kurz kommen, auch veröffentlicht werden.

ANMERKUNGEN


Dieses Round-Table-Gespräch fand im SS 2002 in den Räumlichkeiten des Instituts für die schulpraktische Ausbildung statt

 
ZUR PERSON


Mag. Brigitte BÜNKER ist stv. Chefredakteurin und Fachbereichsredakteurin für den Schulbereich und die Lehrer/innenbildung in Wien.
Sie ist AHS-Lehrerin für Deutsch und Geschichte und war langjährige Mitarbeiterin an der Abteilung für LehrerInnenbildung und Professionalisierungsforschung des Instituts für Bildungswissenschaft (Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien); Lehrbeauftragte der Universität Wien für Fachdidaktik Geschichte

Mag. Gerhard Wagner ist seit 1993 Chefredakteur und Herausgeber des Bildungsmagazins DIDAKTIK sowie von DIDAKTIK-Online und verantwortlich für die inhaltliche Konzeption von didaktik-on.net.

Er hat an zahlreichen bildungswissenschaftlichen, didaktischen und sozialwissenschaftlichen Projekten, unter anderem als Projektleiter, mitgearbeitet.

Gerhard Wagner war in verschiedenen Kommissionen der Universität Wien Mitglied und später zunächst als Tutor, dann von 2004 bis 2009 als Studienassistent am Institut für die schulpraktische Ausbildung tätig (seit 2005 Teil des Instituts für Bildungswissenschaft an der Universität Wien). Bis 2011 ist er für die Universität Wien Projektmitarbeiter im von der EU geförderten Projekt »Hook up!«, an dem zehn europäische Universitäten eine Sprachlernplattform für Austauschstudierende erstellen.

Seit 2011 unterrichtet er, zunächst an einer AHS in Niederösterreich, jetzt in Wien, Deutsch, Deutsch als Zweitsprache sowie Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung.

Des weiteren ist Gerhard Wagner Mitarbeiter der integrativen Redaktion von Freak-Radio und Chefredakteur von Freak-Online. In beiden Redaktionen erarbeiten Menschen mit und ohne Behinderung Informationen über behinderte Menschen.
-> http://freak-online.at
-> https://www.facebook.com/gerhard.wagner1/about?section=bio


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EINE STUDENTIN HAT GEMEINT, SIE WÄRE NAHE DARAN GEWESEN, DEM PROFESSOR DIE AUTO-REIFEN AUFZUSTECHEN, SIE HABE SCHON ALLES VORBEREITET GEHABT. SIE FÜHLEN SICH WEHRLOS, HILFLOS, SIE HABEN KEINE BESCHWERDE-MÖGLICHKEIT.
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ICH HABE EINE FÜLLE VON ARBEITEN, WAS DIE GEWALT BEISPIELSWEISE VON HOCHSCHUL-PROFESSOREN GEGENÜBER STUDENTINNEN NICHT NUR DIESES HAUSES BETRIFFT.
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IN EINEM BERUF, IN DEM DER ZWISCHENMENSCHLICHE ASPEKT SO STARK IM VORDERGRUND STEHT WIE IN DIESEM, DREHT ES SICH IMMER UM EIN AUSBALANCIEREN ZWISCHEN "ROLLE" UND "GANZER PERSON".
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WIR SOLLTEN IN DIE ZUKUNFT SCHAUEN UND ÜBERLEGEN: WIE KANN ES BESSER WERDEN? ICH HABE DIE ANGST DER SCHÜLER MASSIV ERLEBT, AUS MEINER PRAXIS KANN ICH IHNEN EINE REIHE VON BEISPIELE BRINGEN...
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EIN LEHRER MUSS BEZIEHUNGSARBEIT LEISTEN!
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FRÜHER HABEN SICH DIE SCHÜLER SELBST UMGEBRACHT, JETZT NEHMEN SIE VOR IHREM TOD NOCH JEMANDEN MIT.
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WENN DIE FRAGE GESTELLT WIRD: WIE BIST DU DENN AUF DIE IDEE GEKOMMEN, DAS ZU MACHEN? DA WERDEN SEHR OFT SPIELE, FILME ODER BILDER ALS VORBILDER GENANNT.
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KAMERAFÜHRUNGEN WERDEN BEISPIELS-WEISE IMMER AUS DEM BLICKWINKEL DES TÄTERS - DAS WOHLGEFÜHL DES TÄTERS! - ODER DES UNBETEILIGTEN ZUSEHERS GEFÜHRT! WÜRDEN SIE AUS DEM BLICKWINKEL DES OPFERS GEFÜHRT, HIELTE MAN ES NICHT AUS!
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WISSEN SIE, WIR SITZEN AM ABEND IN DER GRUPPE BEISAMMEN UND ÜBERLEGEN UNS, WIE WIR LEHRER UMBRINGEN. WIR TUN ES NICHT, ABER DIESE PHANTASIEN HELFEN UNS, DAMIT FERTIG ZU WERDEN. WIR MALEN UNS GEGENSEITIG AUS, WIE WIR SIE ABMURKSEN, WIE WIR SIE SCHLAGEN, WIE SIE UM GNADE WINSELN!
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ICH MUSS EINEM SCHÜLER, DER MICH UNGLAUBLICH PROVOZIERT, ENTWEDER IN DER SEKUNDE HINAUSSCHICKEN, DARF ICH IHN NICHT, DAS IST VIELLEICHT GERADE EIN SCHÜLER, AUF DEN ICH MICH NICHT VERLASSEN KANN, WENN ER SICH SELBER WAS TUT, WENN ER EINEM ANDEREN WAS TUT ODER IM ZORN WEGRENNT, SO BIN ICH SCHULDIG.
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MIR IST DIE KLEINE, ALLTÄGLICHE GEWALT VIEL WICHTIGER, DER WIR TAGTÄGLICH AUSGELIEFERT SIND, UND ICH BEDAURE, DASS WIR DIESER, SYSTEMISCH BETRACHTET, ERSTAUNLICH WENIG WAHRNEHMUNG ENTGEGENBRINGEN.
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MEINE ARBEIT FINDET IM RAHMEN MEINER LEHRVERPFLICH-TUNG STATT, KOSTET ALSO RELATIV WENIG AN ZUSÄTZLICHEM GELD UND ES IST EINE NIEDER-SCHWELLIGE EINRICHTUNG. DIE KINDER AN DER SCHULE, DIE ELTERN UND DIE LEHRER.INNEN AN DER SCHULE KENNEN MICH, SIE WISSEN, WANN SIE MICH FINDEN KÖNNEN UND DASS SIE MICH AUCH AM GANG ANSPRECHEN KÖNNEN - UND ICH ERKLÄRE ALLEN, DASS ICH EIN NEUGIERIGER MENSCH BIN, DER INTERESSE AN GESCHICHTEN HAT. NICHT JEDER MENSCH, DER MIT MIR SPRICHT, IST VON VORNHEREIN JEMAND, DER PROBLEME HAT, SONDERN JEMAND, DER MEINEN BEDÜRFNISSEN, MEINER NEUGIERDE NACHKOMMT UND MIR GESCHICHTEN ERZÄHLT.
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WIR SIND VIEL ZUVIEL AUF PRODUKTE ORIENTIERT UND ES FEHLT DER BLICK AUF PROZESSE.
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WENN ICH ÜBER DEN NÄCHSTBESTEN PLATZ GEHE UND MIR DORT DREI BIS FÜNF AUSGEMERGELTE, OFFENSICHTLICH HUNGERNDE UND VERWAHRLOSTE MENSCHEN BEGEGNEN, DANN IST DAS AUCH GEWALT.
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IN WAHRHEIT HAT DER STAAT DIE SCHULEN EINGERICHTET, WEIL ER UNTERTANEN BRAUCHT UND DIE WIRTSCHAFT TÜCHTIGE ARBEITNEHMER. DER LEHRER IST ZWAR FREUNDLICH UND NETT ZU MIR, ICH WÜRDE DAS NICHT ALS GEWALT IDENTIFIZIEREN, ABER ER ENTSCHEIDET JA TROTZDEM ÜBER MEIN LEBEN, ÜBER MEINE KARRIERE. WENN MAN DIESE DINGE TABUISIERT, VERSTEHT MAN NICHT, WARUM DAS IMMER WIEDERKEHREN MUSS, SO LANG WIEDERKEHREN MUSS, SOLANGE ES DIESE GEWALT IN DER GESELLSCHAFT GIBT UND SOLANGE SIE NOTGEDRUNGEN ÜBER DIE SCHULE HERANGETRAGEN WIRD AN DIE HERANWACHSENDEN. DAS KÖNNEN WIR GAR NICHT VERHINDERN!
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WAS IST DENN DIE ALTERNATIVE ZUR GEWALT? DENN DAS SCHLAGWORT »STRUKTURELLE GEWALT« IST JA AUCH SEHR PLAKATIV, DA KANN MAN ALLES HINEININTER-PRETIEREN. EIN WIRKLICH LÜCKENLOS GEWALTFREIES LEBEN IST EINE UTOPIE ODER ILLUSION!
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MACHT HEIßT JEDOCH NICHT VON VORNHEREIN MACHTMISSBRAUCH!
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ICH KANN DIESE BEIDEN PERSONEN TRENNEN. EINER UNTERRICHTET, EINER PRÜFT. DER UNTERRICHTENDE HÄTTE NICHT DAS PROBLEM, ZUGLEICH DER PRÜFENDE ZU SEIN, WAS JA SEINE FUNKTION TORPEDIERT. ABER DIE FRAGE IST JA, OB DADURCH DIE LOGIK, AUF EIN GANZ BESTIMMTES VORDEFINIERTES ZIEL HINZUARBEITEN, AUßER KRAFT GESETZT WORDEN IST.
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DAS IST DANN SO WIE IN DER FAHRSCHULE, DENN DA GIBT ES JA KEINE BILDUNGS-PROZESSE, KEINE ENTFALTUNGS-PROZESSE VON INDIVIDUEN, SONDERN DA GEHT´S DARUM, WO IST DER LEHRSTOFF ZU FINDEN IST, MEISTENS »IM BÜCHL, DAS WIR KÖNNEN MÜSSEN, DA FLIEGEN IMMER 30% DURCH, ALSO TUN WIR WAS«! DAS IST NUR MEHR DIE BLANKE TRAININGSLOGIK AUF EIN VORDEFINIERTES UND UNHINTERFRAG-BARES ZIEL!
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ES GIBT VIELE LEHRER, DIE SO GERNE DER COACH IHRER SCHÜLER SEIN WOLLEN, DIE SIE BEGLEITEN UND DEN GANZEN WEG MITGEHEN WOLLEN. DA SAGE ICH ALLERDINGS: DAS IST UNVEREINBAR.
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AUS ZAHLREICHEN PERSÖNLICHEN RÜCKMELDUNGEN MUSS ICH SAGEN, DASS ICH WENIGE BERUFSGRUPPEN KENNE, DIE SO SEHR ÜBER DIE MEDIEN KLAGEN WIE DIE LEHRER.
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AUCH DAS IST EIN PROBLEM DER STRUKTUREN, DIE WIR HABEN, DASS DAS BÖSE UND DAS GEWALTTÄTIGE VIEL LEICHTER VERBREITET WIRD ALS DAS GUTE UND POSITIVE. DAS GUTE WIRD IN VIELER HINSICHT JA ALS DAS NORMALE ANGESEHEN...
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ES GIBT EINEN UNTERSCHIED ZWISCHEN GEWALTSAMEM DURCHSETZEN VON LEHRZIELEN IM SINNE VON ABSOLU-TISTISCHEN DENKWEISEN (DER UNTERTAN, DER SICH UNTERWIRFT ODER DER DAS SYSTEM KRITIKLOS HINNIMMT) UND DEM ERZIEHEN ZU EINEM DEMOKRATISCHEN MENSCHEN. DAS IST FÜR MICH DER ANSATZ EINER SCHULE AUCH ALS LERNENDER ORGANISATION.
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MACHT HEIßT NICHT NUR, UNTER IHR LEIDEN ZU MÜSSEN, SONDERN ES BEDEUTET AUCH, SICH MACHT ZU NEHMEN. WENN ICH NICHT LERNE, MIR MACHT ZU NEHMEN, WERDE ICH EWIG UNTER DER MACHT LEIDEN, DIE EIN ANDERER ÜBER MICH AUSÜBT.
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ES IST WICHTIG ZU WISSEN, DASS GEWALTTÄTIGKEIT IM STAMMHIRN BEHEIMATET IST. WIR REDEN HIER ÜBER DIE AFFEKTIVE GEWALT, ÜBER JENE, WENN JEMAND NICHT MEHR MIT SEINEN GEFÜHLEN FERTIG WIRD. DAHER GEHÖRT FÜR MICH DER ERFURTER ATTENTÄTER ZU DIESER STAMMHIRN-FORM, ER IST NUR HOCHINTELLIGENT UND HAT SICH ÜBERLEGT, WIE ER ES MACHT UND SO DURCHSETZT, DASS SEINE VORBEREITUNGEN NICHT BEMERKT WORDEN SIND. DENN VERBRECHEN WERDEN JA NORMALERWEISE IM GEHEIMEN VORBEREITET!
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ICH FRAGE, WIE ICH DEN ANSATZ DER GEWALT AUF DER HISTORISCHEN LINIE IM HIER UND JETZT ERKENNEN KANN: ETWA BEI MIR, BEI JEMANDEM ANDEREM, IN DER ATMOSPHÄRE UND WIE ICH TECHNISCH, DAMIT ICH NICHT LANGE ZEIT BRAUCHE, DAMIT UMGEHEN KANN. ICH VERSUCHE, MEINEN STUDENTINNEN UND STUDENTEN NAHEZULEGEN ZU FRAGEN: »HALT, WAS IST JETZT DA?«
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DIE WURZEL DER GEWALT IST DIE KONKURRENZ, DARUNTER VERSTEHE ICH, DAS EINER SICH ÜBER DEN ANDEREN ERHEBT, DEN ANDEREN DEMÜTIGT, ATTACKEN AUF DAS SELBSTWERT-GEFÜHL. ICH KANN JEDEN MENSCHEN SO LANGE REIZEN, BIS ER PSYCHOTISCH WIRD.
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JEDE GEWALTTAT HAT IMMER AUCH EINE GESCHICHTE, DIE SICH LANGSAM AUFBAUT.
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IN DIESEM SCHWIERIGEN ALTER ZWISCHEN 13 UND 16 SIND DIE JUGENDLICHEN, DIE ICH KENNE, EINFACH ALLEINE ZU HAUSE. SIE SCHALTEN DANN DIE MIKROWELLE EIN, SIE SOLLTEN DANN AUFGABEN MACHEN UND HABEN DABEI AUCH DIE EMOTIONALE UNTERSTÜTZUNG NICHT, WENN SIE NACH HAUSE KOMMEN, ETWA: »ICH HABE MIT XY GESTRITTEN, DAS HABEN DIE LEHRER GEMACHT, DAS IST IN DER SCHULE PASSIERT.
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SCHULBEISPIEL KANADA: DORT WIRD EIN FRÜHSTÜCK FÜR DIE KINDER ANGEBOTEN, DORT WIRD ARBEIT MIT DEN ELTERN WIRD ANGEBOTEN - ETWA WIE ELTERN IHRE KINDER BEI LERNSCHWIERIG-KEITEN UNTERSTÜTZEN KÖNNEN.
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SELBSTERFAHRUNG BEI UNS EINZELNEN UND AUCH BEI DEN STUDIERENDEN HALTE ICH ABER DES WEITEREN FÜR SEHR WICHTIG: WIR MÜSSEN UNS DIE FRAGE STELLEN, WO WIR SELBST UNTERDRÜCKT WORDEN SIND, WELCHE ÄNGSTE WIR GEHABT HABEN, DAMIT WIR DAS EINMAL HERAUSLASSEN, ARTIKULIEREN UND ANSCHAUEN KÖNNEN, DAMIT WIR DAS NICHT SELBST WIEDERHOLEN UND SO DAS, WORUNTER WIR GELITTEN HABEN, UNSEREN KINDERN IN DER KLASSE WIEDER ANTUN!
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LEHRER.INNEN KÖNNEN JEDOCH, WENN ES IHNEN AUF DEM WEG ZUR SCHULE SCHON DEN MAGEN UMDREHT, ODER IHNEN SCHLECHT WIRD, WENN SIE DAS HAUS NUR SEHEN, NICHT UMFASSEND ERFOLGREICH SEIN. SIE SOLLTEN HINGEGEN VIEL STÄRKER IN SICH HINEINHORCHEN (KÖNNEN) UND DARAUF ACHTEN, DASS ES IHNEN GUT GEHT UND SIE SICH WOHLFÜHLEN. DAS WIRD ES IHNEN LEICHTER MACHEN, GUTE LEHRER.INNEN ZU SEIN.
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DIESE UNMITTELBARKEIT, DASS MAN ES PRAKTISCHE LIVE IM FERNSEHEN SIEHT, WIE SIE DIE LEICHEN AUS DEM SCHULHAUS TRAGEN UND DIESE VEHEMENZ ODER MEDIENPRÄSENZ IST SICHERLICH AUCH EINES DIESER VIELEN TORTENSTÜCKE, DIE DA HINEIN SPIELEN. DER EINZIGE GUTE ASPEKT: WENN SIE GUTE GESCHICHTEN HABEN, BITTE MELDEN SIE SICH! WIR KÖNNEN UNTER ANDEREM AUCH DAVON BERICHTEN!
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